Auf der Berlinale wurde JACK kontrovers diskutiert. Während die einen das Kinodebüt als sensiblen Beitrag zu einem schwierigen Thema feierten, kritisierten ihn andere als unrealistisch und übertrieben. Einig war man sich nur darin, den Hauptdarsteller Ivo Pietzker als Ausnahmetalent zu würdigen. Auf seinem Gesicht, so Regisseur Edward Berger, spielt sich der gesamte Film ab. Tatsächlich verkörpert der Debütant Ivo den 10jährigen Jack als einen Jungen, der mehr Verantwortung trägt als die meisten Erwachsenen in diesem Film.
Jack wohnt mit seinem kleinen Bruder Manuel bei der alleinerziehenden Mutter Sanna, die den Film vor allem durch ihre Abwesenheit prägt. Nie weiß man, ob sie arbeitet, tanzen gegangen oder übers Wochenende aufs Land gefahren ist. Fakt ist: Meistens ist sie abwesend. Wenn sie da ist, spürt man zwar, daß sie ihre Kinder liebt, aber auch, daß sie – selbst nur wenig älter als Mitte 20 – eigentlich nur um sich selbst kreist. Meistens kümmert sich deshalb Jack um seinen kleinen Bruder, zieht ihn an, macht ihm Essen und holt ihn bei Bekannten ab, wo ihn die Mutter teilweise tagelang „parkt.“ Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Situation eskaliert, und das Jugendamt auf den Plan tritt. Jack wird kurzerhand ins Heim verfrachtet.
Nie hat ein Kugelschreiber härter auf dem Papier gekratzt als in dieser Szene, in der Jacks Welt, die er so mühevoll zusammengehalten hat, durch ein paar Kreuze der Sozialarbeiterin in sich zusammenbricht. Was dann folgt, ist schwer anzuschauen und spaltet die Gemüter. Jack haut aus dem Heim ab, holt Manuel aus der Obhut eines unfreiwilligen und bösartigen Aufpassers und macht sich auf den Weg nach Hause. Dort stehen sie allerdings vor verschlossenen Türen, mal wieder ist Sanna verschwunden, und die Brüder irren ohne Essen und Geld tagelang durch Berlin, immer auf der Suche nach ihrer Mutter. Als sie schließlich wieder auftaucht, flackert zwar kurz eine mögliche Familienidylle auf, die entpuppt sich durch die Gedankenlosigkeit der Mutter aber schnell als Fata Morgana.
Der Film zeigt, wie es zu einer massiven Kindswohlgefährdung kommt, ohne daß zwischen Sanna und ihren Kindern auch nur ein einziges böses Wort gefallen ist. Jack versucht lange, auf seinen schmalen Schultern all das auszubalancieren, was die Erwachsenen vergeigen. Erst ganz zum Schluß wagt er eine herzzerreißend vernünftige Entscheidung – in der verzweifelten Hoffnung darauf, doch noch ein bißchen Kind sein zu dürfen.
D 2014, 102 min
FSK 6
Verleih: Camino
Genre: Drama
Darsteller: Ivo Pietzcker, Jakob Matschenz, Nele Mueller-Stöfen
Regie: Edward Berger
Kinostart: 09.10.14
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.