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Jaurès

Seht, das ist Simon!

Simon ist immer da. 83 Minuten lang wird von ihm geschwärmt, wird er beschrieben, ist er zu hören, wenn er spricht und Klavier spielt. Zu sehen aber ist Simon nicht. Gern hätte ihn Regisseur Vincent Dieutre gezeigt, jenen Mann, der ihm in einem Fenster zum Leben Geliebter war. Simon hatte etwas dagegen, also schuf Vincent JAURÈS, und sollte es je eines Musters dafür bedürfen, was unter einem „filmischen Essay“ zu verstehen ist, dieses faszinierende Werk könnte es sein.

JAURÈS ist visualisierte Erinnerung, die im Persönlichen beginnt und endet, im Kern jedoch viel weiter und vor allem tiefer greift. Die Bilder haben ihren Ursprung im Instinkt. Dieutre weiß nicht, was daraus werden soll, als er in Simons Wohnung über Monate hinweg eine Videokamera installiert, die mit dem Objektiv durch reflektierendes Glas nach draußen zeigt. Zu sehen sind starre Einstellungen. Paris, wie es lebt. Ein Künstler gegenüber, der mit Neonlicht spielt, eine außergewöhnlich weiße Taube, die Metro, der Kanal Saint-Martin, die Brücke Lafayette, immer wieder afghanische Flüchtlinge, die bis zur Räumung dort ihr Lager hatten. Junge Männer, die beten, Feuer machen, sich zum Schlafen legen, aufwachen, an scharfkantigen Bewehrungen entlangklettern, von der Polizei unter- , von Hilfsdiensten besucht werden. Menschen, die kommen und gehen, so wie auch Vincent Dieutre stets morgens ging und abends zu seinem Geliebten kam. Das wie ein Sog geschnittene Wechselspiel aus Überblendungen, Zoom und Totalen begleiten aus dem Hintergrund Geräusche und Stimmen.

Die dritte Aktionsebene ist ein Tonstudio, in dem sich der Regisseur mit seiner befreundeten Schauspielerin Eva Truffaut die Aufnahmen besieht und einem Zwiegespräch stellt. Seine wärmende Stimme gleitet vom Melancholischen ins Nachhaltige, fragt, zweifelt, weint ohne Tränen. Es geht um Simon, ja, um seine Arbeit für die Flüchtlinge, es geht aber auch um Liebesbeweise wie das Anlegen eines bestimmten Parfüms, vorgeblich, um Rauch zu übertünchen. Um eine Welt ohne Frauen oben im Haus, unten am Kanal. Es geht um die Welt draußen und drinnen und natürlich um die eine. Wie magisch öffnen sich beim Zusehen Räume, schließen sich, regen sich gegenseitig an, verblassen. Es ist die Essenz von Privatem und Gesellschaftlichem, von Empathie und Intimität.

JAURÈS – zärtlicher Liebesfilm, brisantes Politdrama und doch „nur“ ein Dokument.

Originaltitel: JAURÈS

F 2012, 83 min
Verleih: Arsenal Institut

Genre: Dokumentation, Poesie

Regie: Vincent Dieutre

Kinostart: 12.09.13

[ Andreas Körner ]