Originaltitel: JEANNE D’ARC
F 2017, 138 min
Verleih: Grandfilm
Genre: Drama, Historie, Experimentalfilm
Darsteller: Lise Leplat Prudhomme, Jeanne Voisin, Lucile Gauthier, Aline Charles, Jean-François Causeret, Daniel Dienne, Fabien Fenet
Regie: Bruno Dumont
Kinostart: 02.01.20
Im Grunde steckt etwas Unerhörtes in dieser alten Geschichte: Ein junges Mädchen, noch keine 20 Jahre alt und von einfacher Herkunft, folgt ihrer eigenen Vision, setzt sich damit gegen gestandene Männer durch und führt diese siegreich in eine Schlacht gegen fremde Besatzer. Doch als das Glück ihr später nicht mehr hold ist, gerät sie zwischen politische Fronten. Am Ende steht der Scheiterhaufen.
Das Leben der Johanna von Orléans fasziniert auch noch 600 Jahre später und inspirierte Literatur, Malerei, Musik, Filme und sogar Computerspiele. Der nationalistisch gefärbte Front National widmet der Nationalheldin Frankreichs und Heiligen der katholischen Kirche gar einen eigenen Gedenktag. In dieses Minenfeld von Zuschreibungen und Vereinnahmungen platzen die Filme JEANNETTE – DIE KINDHEIT DER JEANNE D’ARC und JEANNE D’ARC von Bruno Dumont wie eine Bombe. Der Filmemacher zählt zu den eigenwilligsten seiner Generation, seine Werke unkonventionell zu nennen, wäre eine Untertreibung. Sie irritieren und fordern heraus – durchaus auch zum Widerspruch.
Als Grundlage für seine Filme über die heilige Jungfrau dienten Dumont die Schriften von Charles Péguy (1873–1914), einem hierzulande wenig bekannten französischen Intellektuellen. Historische Genauigkeit interessiert Dumont allerdings nicht, vielmehr sind seine Arbeiten eine intensive Auseinandersetzung mit der Figur der Jeanne d’Arc, mit ihrer tiefen Frömmigkeit und ihrem radikalen Individualismus.
Dafür wählt Dumont im ersten Teil die Form eines Musicals; zum Libretto von Péguy schuf der Experimentalmusiker Igorrr einen Elektro-Pop-Sound mit Heavy-Metal-Einschlägen. Darüber singen die klaren Mädchenstimmen von Lise Leplat Prudhomme und Jeanne Voisin von den Zumutungen des Krieges, von der Feigheit angesichts fremden Leids und von der Verzweiflung angesichts des übergroß erscheinenden göttlichen Auftrags, die Engländer aus Frankreich zu verjagen. Als Zugabe gibt es eigenwillige Tänze von Zwillingsnonnen, und immer wieder laufen Schafe durchs Bild.
Bis auf eine Einstellung spielen alle Szenen in einer idyllischen Auen- und Dünenlandschaft. Dieses Setting steht auch am Anfang des zweiten Teils: Aus Jeannette wurde Jeanne. Statt eines blauen Kleides trägt sie nun eine Rüstung. Auch die Darstellerin ist dieselbe, ein etwa 10jähriges Mädchen, umringt von lauter alten Männern, die theaterhaft auf- und abtreten. Die Ausdrucksstärke seiner jungen Darstellerin ist das größte Pfund der beiden Filme. Sie steht für ein weibliches Beharren angesichts der männlichen Übermacht.
Die filmischen Mittel sind einfach, aber originell: So symbolisiert eine komplizierte Reiter-Choreographie mit Jeanne im Zentrum die Darstellung einer Schlacht. Doch die Niederlage kommt unweigerlich. Die tapfere Jungfrau findet sich in der beeindruckenden Kathedrale von Amiens im Angesicht ihrer Ankläger wieder. Die himmelwärts strebenden Vertikalen des Gebäudes lassen die Menschen auf dem schwarz-weißen Fußboden wie Ameisen wirken.
Leider gehen die sorgsam komponierten Bilder in endlos-repetitiven Dialogen unter. Wurde das altertümlich anmutende Gerede von Gott, Häresie und Kirchentreue im ersten Film durch Gesang und Tanz aufgefangen, führen nur noch eine Handvoll Lieder des Chansonniers Christophe durch den zweiten Teil. Doch ohne musikalische Vermittlung wird umso deutlicher, wie sehr aus der Zeit gefallen diese theologischen Konzepte heute wirken.
[ Dörthe Gromes ]