Originaltitel: JEANNE DU BARRY
F 2023, 117 min
FSK 12
Verleih: Wild Bunch
Genre: Biographie, Historie, Drama
Darsteller: Maïwenn, Johnny Depp, Pierre Richard, Melvil Poupaud, Pascal Greggory, Benjamin Lavernhe, Noémie Lvovsky
Regie: Maïwenn
Kinostart: 24.08.23
Genau, das ist das Problemchen! Auch Sie, werte PLAYER-Leserschaft, obgleich mit Sicherheit heterogen besetzt, warten in einem fernen Winkel Ihres Genußzentrums gewiß schon darauf, daß sich diese Zeilen möglichst schnell dem „Comeback“ ge-nannten Auftritt des zivilrechtlich schwer angeschlagenen Johnny Depp befassen mögen. Was er denn so tut. Ob er es noch kann. Und überhaupt. Kommen wir also flugs zum bedepperten Resümee: Er tat gut daran, die Rolle von König Louis XV. anzunehmen. In Frankreich. Auf Französisch. Denn er kann es noch. Und überhaupt.
Auf der Speisekarte heute: Schinken, historisch, gut abgehangen, angemessen gelüftet und eingewickelt in frischer Verpackung. Maïwenn (nur ausnahmsweise sei ihr vollständiger Name, Maïwenn le Besco, genannt) schreibt sich als Regisseurin gern schon mal als Darstellerin in ihre Filme, so geschehen in POLIEZEI und DNA. In JEANNE DU BARRY aber ist sie Kapitänin schlechthin, federführend beim Drehbuch, allein in der Regie und in der Titelrolle präsent bis in die letzte Faser ihrer noblen Garderobe. Nach außen hin mag das Drama bei Hofe als pompöses Ensemblestück wirken, gedreht auch an Originalschauplätzen in Versailles, im Kern aber gehört Maïwenn die Szenerie, besser wohl, ihrer Figur.
Sehr offensichtlich ist die Ansage, diese von Louis XV. favorisierte Mätresse im neuen Lichte zu besehen und glatte 280 Jahre nach ihrer Geburt beziehungsweise 230 nach ihrem Tod noch freier erscheinen zu lassen, als sie es dereinst gewesen sein soll. Anders, so die landläufige Forderung, darf es heute eh nicht mehr sein. Daß Maïwenn dabei nicht jene tragikomische Konsequenz erreicht wie jüngst Frauke Finsterwalder mit SISI & ICH, dürfte auch am eminent höheren Budget, man hört von ölig-arabischen Geldern, gelegen haben. Da wollen eben ein paar mehr Leute Regie führen. Doch für Mutmaßungen ist dieser Platz zu kostbar.
117 Laufminuten erlauben keine lange Introduktion. Jeanne, ein schönes Mädchen aus ländlich-prekären Verhältnissen, wird früh als eigensinnig beschrieben. Im Kloster liest sie heikle Bücher, als Modell will sie sich nicht auskleiden und donnert ein der Zukunft abgelauschtes „Nein, es ist mein Körper!“ in Richtung Staffelei, nach Paris geht sie, weil sie voller Neugier ist auf die „Stadt der Hoffnung und Gefährlichkeiten.“ Jeanne wird Kurtisane, fällt dem Comte du Barry erst auf, dann in die Hände, der sie über Duc de Richelieu (Pierre Richard als „Der große Blonde mit der komischen Perücke“) an den Königshof vermittelt. Dort werden vor allem Augen auf die Neue geworfen. Louis XV. versucht nur kurz, mit seiner abgenudelten, schmierigen Art bei ihr zu landen, merkt aber schnell, daß Jeanne bei ihm die echte Herausforderung herauskitzelt. Jeanne stellt komische Fragen, Jeanne verweigert sich gängigen Ritualen und vor allem: Jeanne kichert, wo immer es etwas zu kichern gibt, und selten ist das nicht.
Wunderbar, wie sie durch Glas die nun wirklich lächerliche morgendliche Gruß- und Ankleideprozedur beim Chef beobachtet. Keck, wie sie Knoten löst, auch den ihres langen Haares. Wirklich pfiffig, wie König Louis das Duell mit ihr annimmt. Hierbei gibt es einige göttliche Szenen zwischen Maïwenn und Johnny Depp, viele davon ohne Worte, nur durch sprechende Gesten getragen. Und hinterm Vorhang im Bett? Es knistert ohne auch nur eine einzige Nacktszene.
Rundum gelungen also, diese neuerliche und damit zigste Ausfahrt nach Versailles, bevor erst die Pocken und dann die Revolution ausbrechen und – hier nur in den finalen Off-Text gehoben – Guillotinen auch bei Jeanne ihren Dienst verrichten? Schmiß hat es, weil ordentlich Tempo. Chanel gab feinen Originalzwirn zum Umnähen heraus, Stephen Warbecks Musik ist hilfreich.
Schwierig ist das Dosieren der Tragik in den Nebenfiguren, vornweg des Königs drei Töchter, weil eben nicht klar werden darf, weshalb Louis, als es seine wohl geliebte Jüngste vom Hofe treibt, in eine tiefe – Achtung, Kalauer – „Deppression“ verfällt. Da wäre er also wieder …
[ Andreas Körner ]