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Jeder schweigt von etwas anderem

Ein Vorstoß in die Pausen

Die Opfer der Staatssicherheit, gezielte Unterstellungen, Erpressung, Verhöre - immer mal wieder, anläßlich eines Kinoerfolges wie DAS LEBEN DER ANDEREN oder wenn es Neuigkeiten von Rosenholz und Merkwürdigkeiten über den Persönlichkeitsschutz zu berichten gibt, meldet sich die gesellschaftliche Debatte für kurze Zeit zurück. Für Anne Golin, Lutz Rachowski und die Pastorenfamilie Storck, alle von der Staatssicherheit verhaftet und vom Westen freigekauft, hat sie nie aufgehört, wie diese Dokumentation zeigt. Zum Gespräch, auch das ist zu spüren, mußten sie nicht gedrängt werden. Vielmehr scheint es, als hätten sich die Filmemacher in einen seit Jahren andauernden Redefluß eingeklinkt: Alpträume, Details von Verhaftung und Gefängnisalltag, Erinnerungen, die auch laut besprochen nicht in die Vergangenheit rücken wollen.

Marc Bauder und Dörte Franke sind gute, zurückhaltende Zuhörer. Besonders genau hören sie zu, wenn jener Redefluß abbricht, wenn es nämlich um die Kinder der Dissidenten geht, die für ein Einverständnis in das "Abweichen" der Eltern damals viel zu klein waren. Den Staat DDR haben die bereits in der Schule als historische Fehlkonstruktion mit kuriosen Alltagsanekdoten kennengelernt, während die Eltern andere "Anekdoten" erzählen - morgens, abends, wütend, traurig. Das Nachfragen haben sie sich verkniffen, weil das Mitteilen auch so kein Ende nimmt, oder weil man nicht an etwas rühren will. Woran aber erinnern sich die Kinder? An das Waisenhaus mit Treppe, an den ersten Abend bei der Mutter im Westen, den ein kleiner Junge ängstlich unter der Sitzbank verbrachte?

Bauder und Franke setzen ihren dokumentarischen Hebel am Ungefragten und Ungesagten an und brechen damit ein Thema auf, daß sich mit seiner dünnen Haut manchmal dem Zugriff zu entziehen droht. Ihr durchdachtes Konzept macht das Nicht-mehr-hören-wollen der Nachgeborenen, die Faktensattheit der "Normalwesen-Menschheit", wie Rachowski die Zeitgenossen ohne Stasi-Erfahrung nennt, selbst zum Thema. Durch diese Konfrontation der Generationen öffnen sich neue Möglichkeiten des Mitdenkens, auch des Mitfühlens. Nicht zuletzt wird so auch eine Sensibilität wiedergewonnen, mit der die Reichweite sogenannter Zersetzungsmaßnahmen ins Gleich, ins Jetzt, ins Heute begreifbar wird.

D 2006, 72 min
Verleih: GMfilms

Genre: Dokumentation, Polit, Schicksal

Darsteller: Utz Rachowski, Matthias Storck, Tine Storck

Stab:
Regie: Marc Bauder, Dörte Franke
Drehbuch: Marc Bauder, Dörte Franke

Kinostart: 26.10.06

[ Sylvia Görke ]