D/F/GB 2016, 103 min
FSK 12
Verleih: X Verleih
Genre: Drama, Historie, Literaturverfilmung
Darsteller: Emma Thompson, Brendan Gleeson, Daniel Brühl, Katrin Pollitt, Lars Rudolph, Mikael Persbrandt
Regie: Vincent Pérez
Kinostart: 17.11.16
Aus dem Wort „Führer“ macht er „Lügner.“ Es wird die erste Buchstabenprobe sein, an der sich Werksarbeiter Otto Quangel versucht. Noch ist es keine Botschaft, noch versteckt er die Ansichtskarte. 285 andere wird er bald in Treppenhäusern öffentlicher Gebäude hinterlassen, auf Parkbänken und Wegen. Mit verstellter Schrift ruft er im Berlin der frühen 40er Jahre zum Widerstand gegen Hitler, die Nazis und den Krieg auf. Quangel ist Mahner. Und Einzelkämpfer.
Die einzige Mitwisserin ist Anna, Quangels Frau. Mit ihr teilt er zudem jenen Schmerz, der den Impuls für zivilen Ungehorsam gesetzt hat: Quangels einziger Sohn ist gefallen. JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN hat am Beginn noch eine andere Bedeutung: Daß es Anna und Otto schon zuvor schwer miteinander hatten, so schwer, daß sie diese schwerste Prüfung kaum verkraften können, machen Emma Thompson und Brendan Gleeson mit unzähligen Blicken deutlich, eingefangen von mitunter grandiosen Kameraeinstellungen. Man glaubt den beiden unbedingt, was sie hier in aller Zurückhaltung und Prägnanz spielen: ihre Gefühle, ihr Schweigen, ihre Ehe.
Die Aufklärung des Falls ist eine Sache für Inspektor Escherich. Mit akribischem Spürsinn spinnt er sein virtuelles Netz um den Täter, setzt Fähnchen auf einem Berlin-Stadtplan an die Fundstellen der Karten, hofft wie selbstverständlich darauf, daß ihm Volk und Vaterland alle Exemplare aus Angst oder Pflichtgefühl zutragen. Am Ende werden keine 20 fehlen. Krieg und Widerstand befanden sich, wie man heute weiß, noch im frühen Stadium. Allerdings auch die Tatsache, daß der Druck der Gestapo auf die Polizeibehörden exorbitant wuchs. Selbst Escherich muß sich bald dem Scheren stellen. Mit der Attitüde, nur Schaf zu sein, wird er nicht durchkommen.
Daß JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN eine internationale Großproduktion ist, kommt ihr sehr zugute. Sie resultiert aus der späten Entdeckung von Hans Falladas Buch für die Welt – es ist erst 2009 auf Englisch erschienen – und der latenten Scheu in Deutschland, den nächsten historischen „Nazi-Stoff“ anzupacken. Heute ist 2016, nicht 1976!
Bis auf die eher schwierige erste Viertelstunde und spätere rein äußerliche Momente, in denen sich zu viele klischierte Auffälligkeiten finden, setzt das Drama konsequent auf den Kern von Falladas Geschichte, zu der auch die des Wohnhauses Jablonskistraße 55 gehört. Genau darin ist es stark.
[ Andreas Körner ]