Daß Jena keine pulsierende Metropole ist, ahnt man. Und vielleicht wird Jeanette, alleinerziehende Mutter eines 10jährigen, gerade von dieser Beschaulichkeit angezogen. Hier kann sie sich völlig dem geliebten Sohn Louis widmen – und ihn gleichzeitig einengen. Der "Sonnenprinz" Gerufene hat keine Freunde, weiß noch nichts vom Leben und möchte eigentlich nur gern seine Oma besuchen. Doch Jeanette verbietet es; zu gespannt ist das Verhältnis zu ihren Eltern. So sucht Louis nach einer Vaterfigur und findet sie in Harry, dem Fußballtrainer, welcher aber derart tief in Sorgen steckt, daß er das Werben des Jungen nicht bemerken will. Schließlich wird er von seiner Mannschaft eher geduldet als respektiert, "die Jungs" quittieren Harrys Bemühungen mit Hohn und Spott. Als sich Jeanette zu allem Überfluß dem neuen – verheirateten – Nachbarn annähert, gerät nicht allein Louis’ Welt aus den Fugen.
JENA PARADIES möchte offensichtlich keine stringente Geschichte erzählen, sondern vielmehr ein in Metaphern und Bilder gefaßtes Porträt individueller Einsamkeit zeichnen. So reiht sich einfach Szene an Szene: Jeanette in der Küche mit dem Nachbarn sprechend; auf einer desaströsen Familienfeier gedemütigt werdend; unter einem Felsen einschlafend; ohne Helm, also quasi schutzlos, auf dem Moped über desolate Landstraßen holpernd und so weiter. Ein Ansatz, aus dem streckenweise ein überzeugendes, handwerlich sehr sorgfältiges Patchwork entsteht, weil Regie und Buch einfach der Kraft des Unausgesprochenen, zwischen den Zeilen Ruhenden vertrauen. Zur aufdringlichen Farce gerät diese Illustration unerfüllter Träume allerdings immer dann, wenn zwecks plakativer Verdeutlichung der dicke Pathos-Pinsel geschwungen wird. Dann gibt beispielsweise Louis enervierend altkluge Sprüche von sich oder darf um der allgemeinen Betroffenheit willen nicht ganz zufällig vom Dach stürzen. Und was sonst muß hier wohl am Ende stehen als der läuternde Suizidversuch einer Hauptfigur?!
Nichtsdestotrotz gilt es, Marco Mittelstaedt nach diesem Langfilmdebüt im Auge zu behalten: Wenn es ihm beim nächsten Mal gelingt, sich vom bleiernen Duktus des typisch teutonischen Problemkinos zu lösen, könnte der Mann Großes erreichen.
D 2004, 83 min
Verleih: Zauberland
Genre: Drama, Erwachsenwerden
Darsteller: Stefanie Stappenbeck, Luca de Michieli, Bruno F. Apitz, Hans-Jochen Wagner, Gitta Schweighöfer
Stab:
Regie: Marco Mittelstaedt
Drehbuch: Marco Mittelstaedt
Kinostart: 12.05.05
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...