Ob es wirklich der letzte Spielfilm sein wird, den man vom 78jährigen britischen Regisseur Ken Loach zu sehen bekommt, sei dahingestellt. Und zwar dorthin, wo Hoffnung ist, es möge nicht so sein. Denn auch JIMMY’S HALL zeigt, was fehlen würde. Wieder erzählt Loach mit aller ihm gegebenen Leidenschaft eine Geschichte von „unten“, von dort also, wo er sich selbst und als Filmemacher stets am wohlsten fühlt. Und auch hier sträubt es sich noch sehr, „wohl gefühlt hat“ zu schreiben.
Im Zeitfenster geht Ken Loach erneut weg von heute, doch immer, wenn er es getan hat in seiner langen Filmographie, brach sich dennoch Aktualität Bahn. Wer vermag schon gern über das, was ist, zu richten, ohne das, was war, im Blick zu haben? Auch wenn die Konflikte in (Nord-)Irland längst aus dem tagesrealen Fokus verschwunden scheinen, sind sie es nicht wirklich. Das wäre nur eine der Lesarten von JIMMY’S HALL, andere ergäben sich aus globalen Perspektiven auf Unterdrückung und Fortschritt, Links-Sein und Rechtsaußen, Rebellentum, seltsame Mauscheleien zwischen Kirche und Staat sowie die Daumenschrauben, mit denen beide Institutionen bestens umgehen können. Wie gehabt.
„Dieses Land wird ein von Priestern verseuchtes Loch werden“, war eine der zentralen Aussagen in Ken Loachs historischem Drama THE WIND THAT SHAKES THE BARLEY, das in den irischen Zwanzigern spielte. Jetzt sind noch einmal zehn Jahre vergangen, Zeit, die ein gewisser (und authentischer) Jimmy Gralton in den USA verbracht hat. Es war Exil für den aufrecht-aufmüpfigen jungen Mann, und doch wünscht er sich, die Heimkehr möge für immer sein. Weder die Jahre noch Gralton selbst sind stehengeblieben. Nicht nur, daß Jimmys Liebe Oonagh einen anderen geheiratet hat, dort in der Region Leitrim haben die Erzkonservativen ihre Macht schleichend, aber umso wirksamer ausgebaut.
Die Pearse-Connolly-Hall, die Jimmy als Sozial- und Kulturzentrum einst ins pulsierende Landleben geholt hat, ist verfallen, die Jungen trauen sich nur noch selten zu tanzen und wenn, dann im Staub der Wege. „Mach’ die Halle wieder auf“, bedrängen sie den Verehrten vergangener Tage. Als hätte er nie vorgehabt, mit seiner alten Mutter nur den elterlichen Hof zu bewirtschaften, entfacht sein alter Kampfeswille, Helfer sind schnell gefunden, wird die Halle vom Volk doch sehr herbeigesehnt. Ihren ersten Sieg, den gegen ihre kollektive Angst, feiern die Menschen bald mit entfesselter Musik und Tänzen. Dabei wird Jimmys mitgebrachtes Schellack voller Jazz neben dem angestammten Irish Folk gern toleriert. Wem aber jedwede Toleranz abgeht, sind der alte Pater, sein Klüngel, die Großgrundeigner und ihre Hooligans, die mit dem Kreuz in der Hand den Aufbruch unterbinden. „Christ oder Gralton“, lautet der Brandspruch, bis es wirklich brennt.
Gerade „seinen“ Kirchenvertretern gestatten Ken Loach und sein angestammter Drehbuchschreiber Paul Laverty vage Entwicklungen. Den Held aber lassen sie ohne Makel, was ihnen verziehen sei, denn diese Vehemenz, mit der auf der Leinwand für Werte gekämpft und der Schwache etwas stärker gemacht wird, ist immer seltener zu finden. Wieder die Briten werden es sein, die mit PRIDE im diesjährigen Kinoherbst dort anknüpfen.
Bis dahin gibt es in JIMMY’S HALL originale irische Kultur, feinste Ausstattungen an echten Schauplätzen, eindrückliche Gesichter und – Gott bewahre – nicht das letzte Gefecht des Ken Loach.
Originaltitel: JIMMY’S HALL
GB/Irland/F 2014, 106 min
FSK 6
Verleih: Pandora
Genre: Tragikomödie, Musik, Poesie
Darsteller: Barry Ward, Simone Kirby, Jim Norton, Aisling Franciosi, Andrew Scott
Regie: Ken Loach
Kinostart: 14.08.14
[ Andreas Körner ]