D 2016, 99 min
FSK 12
Verleih: Farbfilm
Genre: Drama
Darsteller: Jannis Niewöhner, André Hennicke, Barbara Auer, Julia Koschitz
Regie: Piotr J. Lewandowski
Kinostart: 06.10.16
Es ist ein vergiftetes Versprechen: „Bald hast Du Deine Ruhe!“ Als ob es darum ginge. Mit Umsicht und Zärtlichkeit kümmert sich Jonathan um den Vater, hilft beim Waschen, reicht die Medikamente, kämpft immer wieder gegen die Sturheit des Alten an: „Eine Tablette für Dich, eine Tablette für mich ...“ Nein, ein Kinderspiel ist dieses Leben für den Anfang Zwanzigjährigen sicher nicht, der sterbende Vater, das Bewirtschaften des Hofes, Jonathan mußte früh erwachsen werden. Und obwohl mehr Nähe gezwungenermaßen kaum geht, bleibt ihm Burghardt fremd. Von früher redet er kaum, von seiner toten Frau gleich gar nicht. „Ist so lange her ...“ An einsamen Abenden schaut sich Jonathan Dias seiner verstorbenen Mama an.
Hier reibt sich einer auf, hier verschleudert sich ein junges Leben – weil es nicht anders geht. Der tief in der Vergangenheit verwurzelte Streit zwischen Burghardt und seiner Schwester setzt Jonathan zusätzlich zu. Daß sein Vater in der letzten Lebensphase aufblüht, liegt an einem unerwarteten Besuch aus längst verdrängten Zeiten: Ron, Burghardts Freund, Liebhaber und Verursacher einer familiären Katastrophe ...
JONATHAN ist ein – bei aller Traurigkeit – wohltuender Film, taugt in seiner regionalen und emotionalen Verortung als ganz wunderbarer Anachronismus zu den viel zu häufigen Hipsterfilmgespinsten der Gegenwart. Dabei gewährt Pjotr J. Lewandowski Einblick in die Zerrissenheit eines jungen Menschen und erzählt von einer früh aus dem Lot geratenen Familie. Er taucht in einen Alltag ein, der uns fremd geworden ist: ein unromantisches Dorfleben jenseits aller Fachwerksgemütlichkeit, eines mit Schwielen an den Händen und großer Ausbruchssehnsucht. Im Kontrast zu den auch kompromißlos entworfenen Bildern setzt Lewandowski auf Naturalismus, ohne die Bilder von kreisenden Adlern, tanzenden Schmetterlingen und regennassen Bäumen metaphorisch zu überfrachten. Parallel dazu die ungeschönten Aufnahmen vom Verfall des Vaters, die ans Kaposi-Sarkom erinnernde Hautlandschaft – ganz so, als würde der Tod zum Leben gehören. Interessant ist auch, wie Lewandowski das Haus der zwei entfremdeten und doch verbundenen Männer inszeniert – als Festung, als Wall gegen den Lärm da draußen, als Rückzugsort für den kreativen Bastler Jonathan, der fast entschuldigend ein echtes Talent herunterspielt: „Ist nur ein Hobby.“
Zeit, von den Schauspielern zu sprechen: Jannis Niewöhner gehört zu Recht zu den hoffnungsvollsten Schauspielern der Zeit. Er spielt Jonathan in einer Ambivalenz, die zur Zerrissenheit des Kerls paßt, in einer Rätselhaftigkeit, die plumpe Identifikation negiert, den Zuschauer aber neugierig hält. Niewöhner verfügt über genug intelligente Virilität, den Verunsicherten, sich manchmal kindisch Gebenden nicht zu kaschieren. Und klar, im deutschen Kino kann keiner so glaubhaft angeschossen aussehen wie André Hennicke, aber das allein ist es nicht: Hennicke gelingt es mit einer ruppigen Zärtlichkeit, weit über die Hülle hinauszuspielen. Barbara Auer gibt Burghardts verbitterte Schwester, in aller Dörflichkeit durchaus mit Anmut, und man darf staunen, wie schön sie altert.
JONATHAN erzählt von Feigheit und Schuld, von Egoismus und vom Abhauen, es geht um Verlust und Wut, und Lewandowski berichtet davon nicht resignierend. Letztlich ist es ein sich niemals laut gebärdender Film über Liebe geworden. Daher rührt es ungemein an, wenn Jonathan den siechenden Vater fragt: „Kannst Du noch?“ Und diesem spät, aber nicht zu spät über die Lippen kommt: „Ich habe Dich verdammt lieb, Du sturer Bock!“
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.