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Joschka und Herr Fischer

Viele Farben Grün

„Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“ So kommentierte ein frischgebackener Grüner Bundestagsabgeordneter anno 1984 einen Verweis aus dem Plenarsaal. Richard Stücklen hieß der Beschimpfte, wie sich einige erinnern werden. Aber bislang kam keiner auf die Idee, ihm einen Film auf den Leib zu drehen. Und, bitte, niemand fühle sich ermutigt! Längst ist entschieden, welcher der parlamentarischen Kontrahenten lebhafter im Gedächtnis bleiben sollte.

Die Zeitgeschichte hat Pepe Danquart sein jüngstes Filmsujet quasi vor die Füße gelegt: Joschka Fischer, Sohn von Ungarndeutschen, der sich in den 60er Jahren vom Konservatismus der schwäbischen Provinz und der Geschichtsvergessenheit der Elterngeneration emanzipierte. Abgebrochene Schule, abgebrochene Lehre, Gasthörer bei Adorno & Co., Häuserkämpfer, Taxifahrer, erschrockener Zaunzeuge des RAF-Terrors und unerschrockener Aufsteiger in den deutschen politischen Olymp, zu dessen nachhaltiger Begrünung er in vielerlei Hinsicht beigetragen hat.

Nicht immer war das Stricknadelklappern der Grünen-Basis, war diese Partei sein Fall. Oder er der ihre. Folgerichtig trifft man Fischers ausdauerndste Feinde bis heute vor allem im eigenen Lager. Allerdings nicht in diesem Film. Denn den, mit Verlaub, hat ein Faszinierter gemacht. Die Perspektive des mit- und wohlwollenden Dabeiseins, ein manchmal fiebriger cineastischer Puls sind zum Markenzeichen von Danquarts Dokumentarfilmen geworden, die sich zuletzt vor allem dem Sport widmeten. Auch hier findet er einen sportlich-eleganten Weg, um dem staatstragenden Filmporträt, das ja häufig an ebenso staatstragende Massivholzschreibtische gefesselt bleibt, Beine zu machen.

Zu diesem Zweck hat er seinem Protagonisten im Berliner Techno-Club „Tresor“ eine begehbare Installation aufgebaut: Filmprojektionen auf Glasscheiben, über die Fischers Begegnungen mit der großen und kleinen Politik flimmern, von ihm selbst amüsiert oder nachdenklich kommentiert.

Statt sich also in den ewig gleichen Kreislauf von Erzählen und Bebildern zu begeben, schickt Herr Danquart Herrn Fischer zum medialen Lust- und Frustwandeln durch die eigene Bildbiographie. Filmische Abstecher zu Zeitzeugen inklusive. Ein schlappes halbes Jahrhundert lederjackenschwarze, turnschuhweiße, nadelstreifenfarbene deutsche Geschichte sowieso.

D 2011, 140 min
FSK 6
Verleih: X Verleih

Genre: Dokumentation, Biographie, Polit

Darsteller: Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit, Hans Koschnick, Katharina Thalbach, Norbert „Knofo“ Kröcher, Roger de Weck

Stab:
Regie: Pepe Danquart
Drehbuch: Pepe Danquart

Kinostart: 19.05.11

[ Sylvia Görke ]