Noch einmal 14 sein ... Für diesen ganz kurzen und ganz dämlichen Gedanken möchte man sich eigentlich gleich selbst mit der flachen Hand ins Gesicht schlagen. Ne, wirklich nicht. O.K. – der süße Weinverschnitt auf Klassenfahrt war super, die hysterisch gepafften Zigaretten auch, die gemischten Doppel in gemischten Jugendherbergszimmern ohnehin, aber der Mensch von damals an sich? Ne, danke, selbst wenn man persönlich nicht ganz so ein pickliges Paradebeispiel eines schwer pubertierenden Knaben abgab wie dieser Schlaks Hervé, unter dessen strubbeliger Haube sich nur eins abspielt: Wie unterfüttere ich die Behauptung von dicker Hose und zügellosem Sex mit ansatzweise Realem?
Das ist leichter gedacht als getan, denn Hervés Kumpel heißen eben nicht Loïc oder Nicolas, er und sein arabischer Freund Camel, der im übrigen kopftechnisch ganz aus der Art schlägt mit seiner Manowar-Gedächtnisfrise, gehören nicht zu deren lässiger Bande, die auf dem Schulhof ganz salopp und aber auch für jeden gut einsehbar ihre Zungen in den Wangentaschen sich leidenschaftlich gebender Mädels kreisen lassen. Nein, im Gegenteil, Hervé wird von der schönen Laura regelrecht vorgeführt, erst suggeriert sie ihm Eindeutiges auf dem Weg zum Knabenklo, dann aber schickt sie ihm Zettelchen im Unterricht: „T tro moche e ta tète merde ...“ Jugendsprachkürzel und wirklich nicht nett ...
Bleiben ihm nur seine Freunde: Ein Zahnspangenschlaks, ein Dickerchen und eben der Metal-Araber Camel, mit dem er ab und an in schnell herbeigeholte Socken wichst, wenn sie sich im Internet mal wieder auf www.hotmom.com einen runterholen. Sie alle werden ziemlich heftig gedisst, retten sich selbst über einsame Frühabende mit albernem Gläserrücken, bei dem schon mal Hitler himself erscheint, und Rollenspielen im trauten Kreis. Hervé muß sich außerdem ständig die Frage seiner sehr wissensdurstigen Mama gefallen lassen, ob er denn nun endlich und gehörig masturbiere. Bienvenue dans l’enfer, möchte man da sagen, aber so böse ist selbst das schlimmste Teenie-Leben nicht, denn plötzlich taucht ein Abendstern auf, mit dem Mädchen Aurore macht Hervé seine ersten Schritte auf dem spiegelglatten Parkett adoleszenter Liebe ...
Gleich vorweg, mit LOL oder LA BOUM kann das Langfilmdebüt von Riad Sattouf nicht mithalten, dafür orientiert es sich doch – auch in seiner bisweiligen Zotigkeit – mehr an den amerikanischen Wegbegleitern à la AMERICAN PIE. Aber Charme und Witz hat JUNGS BLEIBEN JUNGS schon. Auch weil man sich ja doch immer wieder gern auf die Seite der Schwachen ziehen läßt, weil es geradezu rührend ist, wie sich Hervé und Camel ausgerechnet an den Unterwäscheseiten in einem 80er-Jahre-Versandhauskatalog aufgeilen („Da wurde noch nix retuschiert ...“). Da kriegt die Bande wieder etwas Unschuldiges, was der „heutigen Jugend“ ja im Allgemeinen abgesprochen wird. Sattouf hat trotz einiger geschmacklicher Ausbrüche die Denke der Teens ganz gut erfaßt, und Jungs in diesem Alter zwischen erfolgreichem Stimmbruch und erstem Barthaar sind eben oft wirklich so. Beispiel? Im Unterricht werden Aufsätze gefordert über bedeutende Persönlichkeiten mit Vorbildwirkung. Über wen schrieben Hervé und Camel? 50 Cents und Rocco Siffredi ...
Der Film kann dabei nicht mehr sein als ein Ausschnitt aus dieser wüsten Zeit, so ist er auch gemacht, denn wir werden mitten hineingeworfen und an einer Stelle, die Weichenfunktion haben könnte, Hervé & Co. wieder von der Seite gerissen. Das hat etwas Fragmentarisches, mancher Running Gag und zuvor bedeutungsdräuende Link werden auch nicht aufgelöst, was aber insgesamt so in Ordnung geht, da es diesen Film etwas ungezähmter, weniger glatt als den zitierten amerikanischen Kollegen macht.
Originaltitel: LES BEAUX GOSSES
F 2009, 90 min
Verleih: Kool
Genre: Erwachsenwerden, Teenie, Komödie
Darsteller: Vincent Lacoste, Noémie Lvovsky, Irène Jacob, Emmanuelle Devos, Anthony Sonigo
Regie: Riad Sattouf
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.