Ken Loachs Geschichten sind meist sehr klar strukturiert erzählt, mitunter fast dokumentarisch beobachtet. Es sind immer irgendwie einfache Filme, die unaufgeregt und dabei sehr einfühlsam von echten Menschen mit echten Sorgen, mit echten Pechsträhnen und manchmal auch mit echtem Glücksempfinden erzählen. Das hysterische Purzeln aus dem rosaroten Herzschmerzwattewölkchen ist Loachs Thema nicht. Sein Herz schlägt doppelsinnig links, er ist so ein bißchen der Billy Bragg des Kinos.
Damit ist er dem anderen britischen Gewissensbeißer Mike Leigh nicht unähnlich, wobei Loach seine Milieugeschichten jedoch meist noch einen Tick unprätentiöser, noch bodenständiger fabuliert. Leider geschah das in den letzten Jahren oft unter Ausschluß einer größeren Öffentlichkeit. Die Kritiker lieben und die Festivals ehren ihn, das Publikum aber ignoriert ihn. So zuletzt geschehen mit dem schlichtweg brillanten Drama SWEET SIXTEEN. Diese traurig stimmende Bilanz könnte durch seinen neuesten Film der Vergangenheit angehören. Loach hat zu einer leichteren, oft auch heiteren Sprache gefunden, die viel mehr als ein Zeichen von Altersmilde ist, und mit der er in keinem einzigen Moment seinen humanistischen Standpunkt aufgibt.
Er läßt den gutaussehenden jungen Pakistani Casim auf Roisin treffen, die Musiklehrerin seiner jüngeren Schwester. Leidenschaft entfacht, Lügen werden überstrapaziert, denn Casim ist längst einer ihm völlig unbekannten Cousine zur Hochzeit versprochen. So will es der Brauch, so wollen es Casims streng muslimische Eltern. Anfangs ist der Schöne zu schwach, um sich über starre Traditionen hinwegzusetzen, auch feige kann man ihn nennen, doch manchmal ist seine Unehrlichkeit durchaus aus der Not geboren. Wohingegen Roisin, selbstbewußt, klug und mitunter kompromißbereit, sich in ihrer freien Entscheidung nicht einschränken läßt, Toleranz lebt und einfordert und bedingungslose Liebe ganz selbstverständlich voraussetzt.
Ein schöner Gedanke von Loach übrigens, daß er ein von der ethischen Herkunft völlig ungleiches Paar zusammenführt, ohne daß auch nur einer sofort zum Glauben des anderen konvertieren will. Das wird zum Beispiel in jüdischen Geschichten gern mal so flockig erzählt, als gäbe es nichts Simpleres, als sich in großer Liebe einfach aller eigenen Wertvorstellungen, Weltanschauungen und Ideale zu entledigen. So etwas ist immer ein Prozeß, wenn auch nicht Gegenstand von Loachs Film.
Er spitzt die Dramatik mit einem geschickten Mittel zu: die Leichtigkeit zu Beginn ihrer Beziehung findet im industriellen Glasgow statt. Die Probleme hingegen implodieren unter der Sonne Spaniens. Loach, ein Moralist im positiven Sinne: bei ihm geht der (Liebes)Kampf der Kulturen optimistisch stimmend aus. Seine Filme sind immer einfache Filme. Und es sind auch immer gute Filme. Da bildet dieser heiter-melancholische Liebeszwist gar keine Ausnahme.
Originaltitel: AE FOND KISS
GB/Belgien/D/I/Spanien 2003, 103 min
Verleih: Neue Visionen
Genre: Tragikomödie, Liebe
Darsteller: Eva Birthistle, Atta Yaqub
Regie: Ken Loach
Kinostart: 11.11.04
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.