Originaltitel: THE SPECIAL NEED

D/I 2013, 81 min
FSK 12
Verleih: Farbfilm

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Carlo Zoratti
Drehbuch: Carlo Zoratti, Cosimo Bizzarri

Kinostart: 11.12.14

1 Bewertung

(K)ein besonderes Bedürfnis

Dokumentarisches Roadmovie über die Suche nach der Liebe

Enea wünscht sich eine Freundin: zum Tanzen, zum Küssen und für alles andere auch. Wenn der 29jährige Italiener seine Traumfrau beschreibt („wunderschön, blonde Haare, blaue Augen, sensibel, lustig, nett“), dann wird schnell klar, wie hoch seine Erwartungen sind. Enea will keinen Kompromiß, sondern die ganz große Liebe. Der Weg dahin ist allerdings steinig, denn das Flirten fällt ihm schwerer als anderen: Enea nimmt alles wörtlich und ist nicht gut darin, zwischen den Zeilen zu lesen. Enea ist Autist.

Je länger er auf sein erstes Mal wartet, desto mehr entwickelt sich dieses Thema zu einer fixen Idee, die ihn schließlich Tag und Nacht beschäftigt. Seine Freunde Alex und Carlo beschließen, ihm zu helfen. Gemeinsam machen sie sich in einem alten VW-Bus auf die Suche nach der Liebe. Ihre Reise führt sie unter anderem auf den italienischen Straßenstrich und in ein österreichisches Bordell. Spätestens hier wird deutlich, daß es gar nicht so einfach ist, Eneas Bedürfnis zu befriedigen, denn was er sich eigentlich wünscht, ist nicht schneller Sex, sondern die Erfahrung von Nähe, Geborgenheit und (körperlicher) Liebe. Erst in der norddeutschen Provinz finden sie einen Ort, an dem sich Menschen im wortwörtlichen Sinn an ihre Sexualität herantasten können. Hier lernt Enea schließlich mit Hilfe einer Sexualbegleiterin, wie es sich anfühlt, eine Frau zu berühren und von ihr berührt zu werden.

Man darf sich nicht davon abschrecken lassen, daß sich die Versuchsanordnung dieses Dokumentarfilms liest wie der Waschzettel einer schlechten RTL-II-Reality-Soap. Tatsächlich ist daraus ein herausragender Dokumentarfilm geworden, der auf sensible und gleichzeitig humorvolle Weise sein komplexes Thema erkundet. Carlo Zoratti, der ein alter Freund seines Protagonisten Enea ist, gewann mit (K)EIN BESONDERES BEDÜRFNIS beim letzten DOK-Festival völlig zu Recht die Goldene Taube, weil er mit sehr geschickt eingesetzten filmischen Mitteln weit mehr erzählt als die Geschichte einer Entjungferung.

In bester Coming Of Age-Manier reift Enea im Verlauf der Dreharbeiten vom vorlauten Kindskopf zu einer eigenständigen Persönlichkeit. Ihm dabei zuschauen zu dürfen, wie er lernt, die eigenen Bedürfnisse – sowohl die sexuellen als auch alle anderen – nicht nur zu spüren, sondern auch zu artikulieren, ist zutiefst berührend. Tatsächlich gelingt ihm damit ein Schritt, den viele andere Menschen in ihrem Leben noch vor sich haben. Aber es gibt ja bekanntlich für alles ein erstes Mal.

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.