Regisseur Lars Kraume bringt beides unter einen Hut und zwar so wunderbar leicht, daß sich Michael Winterbottom mit seinem krampfigen Film 9 SONGS eine Scheibe davon abschneiden sollte. Hier und dort stehen Konzertausschnitte neben einer fiktiven - sagen wir - Backstage-Geschichte, bei Winterbottom beziehungslos, bei Kraume durch ein überzeugendes wie ungewöhnliches Konzept miteinander verbunden.
Doch worum geht es? Tobias Hansen hat es sich in den Kopf gesetzt, einen Film über seinen Bruder Markus und dessen Deutsch-Rock-Band "Hansen" zu drehen. Die beiden haben ein gutes Verhältnis. Aber seit geraumer Zeit wird Tobias den Verdacht nicht los, daß Markus etwas mit seiner Freundin Ellen gehabt haben könnte. Nur: er traut sich nicht zu fragen. Lieber will er es vor laufender Kamera klären. Er lädt Ellen also ein, ihn und seinen Bruder auf der Hansen-Tournee durch Norddeutschland zu begleiten. Bevor er weiß, was mit ihm und seinem Film passiert, steckt er mitten drin in einer auswegslosen medialen Dreiecksgeschichte um Liebe und Verrat, Vertrauen und zwischenmenschliche Untiefen.
Reale Bandauftritte - trotzdem inszeniert. Denn die Band Hansen wurde eigens für den Film gegründet. Jürgen Vogel ist Markus Hansen. Die Spielfilmszenen zu den melancholisch-nachdenklichen Songs sind frei improvisiert. Vogel, Florian Lukas und Heike Makatsch lassen sich in verrauchten Club-Kellern, schäbigen Hotelzimmern und auf der Rückbank des Tour-Busses auf doppelbödige Diskussionen über die Bedeutung von Liebe und Sex ein und gehen dabei so sehr in ihren Rollen auf, daß man am Ende glaubt, sehr viel Persönliches über sie erfahren zu haben.
Formal geht Kraume neue Wege, indem er so tut, als bestehe sein Film aus Rohmaterial zu Tobias’ Dokumentarfilmprojekt. Dialoge und Emotionen wirken dadurch absolut authentisch und erfrischend, frei von dramaturgischer Überkonstruiertheit. Nur zum Ende verzweigt sich das Familiendrama etwas ins Ziellose, aber es entspricht der Verlorenheit der Figuren, die manchmal auch keine Worte haben, um das auszudrücken, was man nur in Liedern sagen kann.
D 2005, 98 min
Verleih: Film 1/Alamode
Genre: Liebe, Tragikomödie, Musik
Darsteller: Florian Lukas, Jürgen Vogel, Heike Makatsch
Regie: Lars Kraume
Kinostart: 27.10.05
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...