Originaltitel: KINDS OF KINDNESS

GB/USA/Irland 2024, 164 min
FSK 16
Verleih: Disney

Genre: Tragikomödie, Episodenfilm, Satire

Darsteller: Emma Stone, Jesse Plemons, Margaret Qualley, Willem Dafoe, Hong Chau

Regie: Yorgos Lanthimos

Kinostart: 04.07.24

6 Bewertungen

Kinds Of Kindness

Sweet Dreams Aren’t Made Of This

Vorspann, Eurythmics, „Sweet Dreams“, man wähnt, etwas wehmütig, Yorgos Lanthimos nach THE FAVOURITE und POOR THINGS endgültig an den – wenngleich mit Stolperfallen gespickten – Mainstream verloren. Krasser Irrtum. Entpuppt sich KINDS OF KINDNESS doch nicht als Fortführung des bewiesen massentauglichen Materials, sondern enthemmte Steigerung von DOGTOOTH oder THE LOBSTER. Eine Warnung? Eventuell. Durchaus. Okay: ja.

Drei inhaltlich fast nicht verbundene Kurzgeschichten, selbes Ensemble in unterschiedlichen Rollen. So das hiesige Rezept, nicht ganz neu oder gar revolutionär, trotzdem tauglich für gesamt 164 Minuten, die ohne eine verzichtbare Sekunde auskommen; schon dies eine spektakuläre Leistung. Story 1 zeigt Robert, dessen Mentor Raymond sein Leben komplett bestimmt, vom Gewicht über die Abendlektüre bis zur Geschlechtsverkehrserlaubnis. Robert läßt es willig geschehen, bis Raymond ihn zum Mord auffordert …

In Segment 2 treffen wir Polizist Daniel. Seine Frau, Meeresforscherin Liz, verschwand bei einer Expedition und kehrt nun überraschend zurück. Allerdings: Das Hauskätzchen faucht, ihre Füße sind seltsam vergrößert, sie hat plötzlich Lust auf einst verschmähte Köstlichkeiten. Daniel glaubt an eine Doppelgängerin, stachelt Liz zu extremen Liebesgesten an …

Die letzte Episode folgt schließlich zwei Sektenmitgliedern, die einen neuen Heiland suchen, und bildet das (auf sehr hohem Niveau kritisiert) schwächste Drittel. Vielleicht, weil – stets gemessen an Lanthimos’ meisterlich abgefuckten Geistesspielen – sie am „gängigsten“ und zugänglichsten wirkt, sich tiefste Häßlichkeit völlig offen sichtbar auf angelaufenem Silbertablett gebärdet. In Manifestation verabreichter Drogen, sexueller Attacken, einer emotional vernachlässigten, um Zuneigung bettelnden Tochter. Da geht Lanthimos bisher höllisch gemeinem Versteckte-Boshaftigkeit-hinterrücks-durchs-Auge-in-Brust-und-Kopf-gehämmert punktuell die Schlagkraft aus.

Allein, wie auf der Tonspur ein brutal mißhandeltes Klavier Nerven zerrt, dazu die Kamera agiert, den Figuren manchmal deutlich zu nahe tritt, um sie anschließend aus der Distanz zu belauern und immer wieder vor ihnen zu knien, nach oben blickend. Anfangs scheinbar devot, tatsächlich aber zunehmend grinsend, der Machtposition gewahr und sofort bereit zuzubeißen. Wo es am meisten schmerzt natürlich; der Titel kein Versprechen, vielmehr eine höhnische Umdrehung. Darunter des Magens, wenn Liz (oder ihre Behauptung) wirklich alles tut, um Daniel zu gefallen, Eigenverstümmelung inklusive. Er offenbart derweil beim Gespräch im Krankenhaus höchste empathische Feinfühligkeit: „Bist Du sicher, daß der Mann, der da drin im Sterben liegt, Dein Mann ist?“

Jedes Einzelstück präsentiert einen endlosen Reigen aus fiesen Manipulationen, Lügen, Abhängigkeiten, Verführbarkeit, wegen Angst vor Einsamkeit gehorsam erlittenen Kontrollverlusten und beiläufig-selbstverständlicher Dominanz, ausgeübt durch eine – vermeintlich – zugetane Person, welche quasi die Rolle eines Marionettenspielers übernimmt, dabei indes selbst dem gottgleich führenden Lanthimos unterworfen bleibt. Modern würde man wahrscheinlich das bereits leerverbalisierte Prädikat „toxische Beziehung“ zücken, früher hätte man es schlichter „menschlicher Umgang“ genannt. Geformt zu eiskalten Dialogen und total absurden Monologen, die furchtlose Schauspieler markerschütternd geerdet vortragen, grausamem Geschehen, dargeboten wie das Normalste überhaupt.

Logisch und passend, denn genau hier, in der auf schwerlich weiter steigerbare Spitzen getriebenen Alltäglichkeit, pulst der echte Horror jenes Triptychons, Lanthimos’ Obduktion entgleister Bindungen ist, vom Mystery-Umhang entschält, schauderhaft real. Ein zynischer Gegenentwurf zum Heile-Welt-Getue der Ehefrau, die am Ende eines langen Arbeitstages Punkt 18.00 Uhr noch ein Abendmahl vor den am patriarchalischen Arschabsacksyndrom krankenden Gatten zaubert und unter Freunden lautstark rüberflötet, seit ihrer so glücklichen Verbindung keinen anderen Mann bloß anzuschauen („Ich habe ja den Richtigen!“). Was wäre wohl, wenn?

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...