„Es ist nicht so streng, wie man sagt“, versucht der schlackerohrige Ivar seinen neuen Kameraden Erling, vor allem wohl aber sich selbst zu trösten. Und das, obwohl sie einem der trostlosesten Orte Norwegens entgegenschippern. Daran läßt die ewig blaugrauschwarze Farbigkeit, von der sie fortan umgeben sein werden, keinen Zweifel. Eine Fähre bringt die jugendlichen Delinquenten zur Insel Bastøy im Oslofjord, wo sie der Staat Disziplin und Gehorsam lehren will. Die Kälte, die ihnen dort entgegenschlägt, kommt nicht allein vom harten Winter des Jahres 1915. Sie gehört vielmehr zu den zeitbedingten Überzeugungen eines pädagogischen Modells, das sich auf Furcht, Unterdrückung und die unbeschränkte Allmacht der Fürsorger gründet.
Anstaltskleidung, geschorenes Haar – schon beim Eintritt in diese Welt wird den Jungen ein Teil ihrer Würde genommen. Was davon übrig bleibt, geht in der Hackordnung der Schlafsäle kaputt, wird ihnen durch Prügel ausgetrieben oder bei den nächtlichen Zuwendungen von Hausvater Bråthen gestohlen. Der Herr Direktor geht nicht davon aus, daß diese Knaben eine Unschuld zu verlieren hätten. Noch weniger ahnt er, daß der kaum zähmbare Analphabet Erling die Lunte ist, die das Pulverfaß aus Willkür und Wut mit tödlicher Wucht hochgehen läßt.
Das Genre, an das sich Regisseur Marius Holst in seinem vierten Spielfilm wagt, hat viele Gesichter. Ob aber Internats-, Meuterei- oder Mißbrauchsdrama, ob frei erfunden oder wie hier an historischen Ereignissen orientiert: Die Motive, die emotionalen Mechanismen, die auf Notbündnissen und permanenter Eskalation basierende Dramaturgie sind deutliche Merkmale ihrer Verwandtschaft. Doch Holst benutzt diese Konventionen mit so viel Sensibilität und Selbstverständlichkeit, daß man sich dem Pathos des Parteiergreifens getrost ergeben kann, und zwar wachen Geistes. Denn er traut sich Bildmetaphern wie diesen Märchen-Wal von Hemingway-Symbolkraft, der aus den Phantasien der Jungen hin und wieder unvermittelt in die Filmrealität schwimmt.
Und er traut sich, einem wie Stellan Skarsgård ein Bataillon von Schauspielneulingen gegenüberzustellen, ja, ihnen den Raum zu geben, das Pokerface des internationalen Films aus der Fassung zu bringen.
Originaltitel: KONGEN AV BASTØY
Norwegen/F/Polen/S 2010, 115 min
FSK 12
Verleih: Alamode
Genre: Drama
Darsteller: Stellan Skarsgård, Magnus Langlete, Trond Nilssen, Benjamin Helstad, Kristoffer Joner
Regie: Marius Holst
Kinostart: 29.03.12
[ Sylvia Görke ]