"Die Familie ist das letzte Problem, mit dem wir fertig werden müssen. Alle anderen Probleme haben wir inzwischen gelöst." Anette K. Olesen scheint die Analyse des Landsmanns und FLICKERING LIGHTS-Regisseurs Jensen zu teilen. Sie beginnt also gleich mit einer letzten großen Aufgabe, denn dieser Film ist Olesens Kinodebüt. Eine weitere messerscharfe Analyse - "Man kann sich seine Familie nicht aussuchen" - führt mitten hinein in den Kopenhagener Verwandtschafts-Alptraum.
Familienoberhaupt John gibt den Scherzkeks und läßt schon mal das verschmitzte Gesicht ins Mittagessen fallen. Ulla kann sich darüber nach 46 Jahren Ehe nicht mal mehr ein Schmunzeln abringen. Tochter Marianne, mit knapp dreißig zwar das jüngste, aber auch das anhänglichste Kind, ißt weiter. Die Älteste dichtet und malt - wenn sie nicht gerade auf’s Klo muß. Sohn und Unternehmer Tom arbeitet wie ein Irrer - auch an seiner Ehe, da vor allem mit Sex. Einen Onkel gibt es ebenfalls, doch der um die fünfzigjährige S¿ren bemüht sich, als Arthritis-Invalide mit seinem ländlichen Rückzugsraum bis zur Unkenntlichkeit zu verschmelzen. Sein Lebensabend weckt in Ehefrau Hanne Lust auf Morgengrauen - mit einem anderen Mann. Als dann ein Auto die geliebte Frau, Mutter und Schwägerin Ulla aus dem Leben und der Geschichte fährt, wird alles anders, aber zunächst nicht besser.
Olesen wühlt sich mit Witz und Gefühl als Nachhut einer beweglichen Kamera in die Lebens-, Leidens- und Liebeswirren der Hinterbliebenen, legt Mißgeschicke unterschiedlicher Größe frei, hier Tragisches, da bislang Unausgesprochenes. Und auch wenn die demokratisch fundierte Arbeit mit Spielimprovisationen als "Mike-Leigh-Methode" firmiert und hier sehr viel leiser (will sagen: weniger drastisch) getreten wird als in Vinterbergs DAS FEST, die Figuren nicht ganz die bitter-komische Tiefenschärfe bekommen wie die Fremdsprachenschüler in Scherfigs ITALIENISCH FÜR ANFÄNGER - dies ist ein Kind von Dogma, eines der Braveren.
Vielleicht beginnt die dänische Puristen-Revolution bereits, gefräßig auf ihre Nachkommen zu schielen? Andererseits: Man kann nicht jahrelang Barrikaden stürmen und jedesmal "Überraschung!" rufen.
Originaltitel: SM ULYKKER
DK 2001, 104 min
Verleih: Senator
Genre: Tragikomödie
Darsteller: J¿rgen Kiil, Maria Würgler Rich, Jannie Faurschou, Henrik Prip, Jesper Christensen, Karen-Lise Mynster
Stab:
Regie: Annette K. Olesen
Drehbuch: Kim Fupz Aakeson
Kinostart: 26.09.02
[ Sylvia Görke ]