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L’ Chaim – Auf das Leben!

Der Horror lebt fort

Sie hängen wie Ikonenbilder an der getünchten Wand: Schwarz-Weiß-Fotografien ihrer Eltern. „Hitler hat sie umgebracht“, sagt die alte Dame und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. Die Jüdin Nechuma Lubelski war im Konzentrationslager Peterswaldau inhaftiert, im Gegensatz zu ihren Eltern aber überlebte sie den Horror.

Was danach kam, hört sich erst mal nach einem normalen Leben an: Hochzeit, Kinder, Altwerden. Die betagte Dame lebt mittlerweile in einem Altersheim im holländischen Antwerpen. Direkter Blick aufs Meer, Rundumversorgung, täglich kommt ihr Sohn zu Besuch. Der 63jährige Chaim tut alles, damit es seiner Mutter in ihren letzten Tagen gut geht. „Mutti“ nennt er sie liebevoll, kocht ihr Essen, führt sie spazieren – es ist eine tiefe Verbindung, die die beiden aneinanderkettet. Und ein tiefer Schmerz.

Auch Regisseur Elkan Spiller ist Sohn von Holocaust-Überlebenden und holt nun ein Thema ans Licht, das oft vergessen wird. Klar, wir reden über den Holocaust, gerade in diesem Jahr – 70 Jahre nach Ende des Krieges. Klar, wir gedenken der Opfer und hören die Geschichten der Überlebenden. Aber was kommt danach? Was ist mit all den Kindern und Kindeskindern, die Traumata und Erinnerungen ihrer Eltern und Großeltern bis heute mit sich herumtragen? Chaim Lubelski gehört zu jener nachfolgenden Generation und steht im Mittelpunkt dieses eindrücklichen und gleichzeitig komischen Films. Hundertmal hört er die Geschichten der Eltern. Schon als 7jähriger begleitet er seinen Vater zum Arzt, weil dieser die körperlichen, aber auch seelischen Schmerzen nur mit Morphium erträgt. Später will er sich von der Vergangenheit lösen und streunt als Lebenskünstler um die Welt. Er dealt mit Drogen, verkauft Jeans in New York und spielt Schach in Südfrankreich. Erst als seine Mutter ins hohe Alter kommt, kehrt er zu seiner Familie zurück.

Spiller erzählt von Liebe und Mitgefühl und von den Greueltaten des Naziregimes, die bis heute in den den Menschen weiterleben. Manche mögen sie ins Hinterzimmer verdrängt haben, Chaim trägt das Wissen um den Schmerz mit Lebensweisheit und Humor. Tragik wird plötzlich ertragbar, und die Tragweite der Geschichte rückt weiter ins Bewußtsein. Denn neben Chaim gibt es Millionen andere Nachfahren der Holocaust-Überlebenden, die in Europa und in der ganzen Welt zu Hause sind und nachts noch immer schweißgebadet aufwachen. Mögen sie ähnlich liebevoll erzählen wie Elkan Spiller, dann steigt die Chance, daß sich Geschichte nicht wiederholt.

D 2014, 92 min
FSK 0
Verleih: mindjazz

Genre: Dokumentation, Historie

Regie: Elkan Spiller

Kinostart: 01.10.15

[ Claudia Euen ]