Spanien, September 1980. Im südlichsten Andalusien, dort, wo der Guadalquivir in den Atlantik mündet, in dieser armen, dünnbesiedelten Landschaft, wo sich in monotonen Weiten Salzsümpfe und Lagunen mit Deichen und Reisfeldern abwechseln, verschwinden spurlos zwei Mädchen. Geschwister, Teenager, die zu finden aus dem fernen Madrid die Kriminalbeamten Pedro und Juan in die Einöde delegiert werden. Daß nun die Mädchen aus dieser und damit aus ihren sozial beengenden Verhältnissen schlicht entflohen sind, halten beide Polizisten für möglich und spüren doch, trotz all ihrer auch charakterlichen Gegensätzlichkeit, daß die Wahrheit eine andere ist. Eine grausame, mörderische nämlich.
Es gehört zu den faszinierenden Eigenheiten an LA ISLA MÍNIMA, wie der Film das Unheilschwangere zu inszenieren versteht. Wie er das dunkel Ahnungsvolle verdichtet. Wie – gleich der brütenden Hitze über der von Kameramann Alex Catalán großartig in Szene gesetzten Landschaft – eine gespenstisch stille, Unheil dünstende Atmosphäre liegt. Die ihrerseits, gleich dem fauligen Gestank aus den Sümpfen, der Vergangenheit zu entsteigen scheint. Denn es hat natürlich seinen Grund, daß diese Geschichte 1980 spielt: Es sind die Jahre der „Transición“, der Übergangszeit von der Diktatur zur Demokratie. Franco ist seit fünf Jahren tot, Spanien hat seit zwei Jahren eine Verfassung – doch im Hotelzimmer prangen neben dem Kruzifix immer noch Bildchen des Generalissimo.
Was Regisseur Alberto Rodríguez mit LA ISLA MÍNIMA gelingt, ist, diese politische Dimension mitschwingen zu lassen, ohne ins allzu explizite Ausformulieren zu verfallen. Daß der ältere, abgeklärte Juan einst zum faschistischen Machtapparat gehörte und dort mehr als nur ein Mitläufer war, gerät hier nicht zum moralischen Postulat, sondern ist ein weiteres, ausgesprochen wirksames Mittel, besagte Atmosphäre der Unsicherheit, Lüge und Gewalt zu komprimieren.
LA ISLA MÍNIMA spielt dabei im Grunde eine klassische Konstellation durch: Guter Bulle/böser Bulle jagen Serienkiller in einsamer Landschaft. Aber was der Film aus dieser Konstellation herausholt, ist nicht nur ein spannender und stilistisch souveräner Thriller, sondern eben auch eine gleichnishafte Geschichte über das Wesen des Menschen und einer Gesellschaft im Schatten ihrer dunklen Vergangenheit.
Originaltitel: LA ISLA MÍNIMA
Spanien 2014, 104 min
FSK 16
Verleih: Drop-Out Cinema
Genre: Thriller, Killer, Polit
Darsteller: Raúl Arévalo, Javier Gutiérrez, Antonio de la Torre, Jesús Castro, Nerrea Barros
Regie: Alberto Rodríguez
Kinostart: 04.08.16
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.