... macht sich nicht von allein, sagt Raquel. Seit über zwanzig Jahren räumt sie den Kindern die dreckige Wäsche hinterher, spült Teller, saugt Teppiche in Zimmern und Fluren. Doch es sind nicht ihre Kinder, nicht ihre Teppiche, und Raquels Zimmer ist gerade groß genug zum Fernsehen und Schlafen – wenn Familie Valdez ihre Dienste am Abend nicht mehr benötigt.
Stellvertretend für all die uniformierten Hausmädchen in den gutbürgerlichen Stuben von Chile bekommt diese Frau im Film von Sebastián Silva jene ungeteilte Aufmerksamkeit, die ihrem Berufsstand im Alltag selten entgegengebracht wird. Höchstens zum 41. Geburtstag, wenn die Señora einen Kuchen backt und Raquel aus der Küche, dem heimlichen Machtzentrum ihrer Vizeregentschaft, ins unvertraute Wohnzimmer lockt. In diesen paar Schritten vom Spül- zum Kaffeetisch liest Silva wie in einem Buch. Er entdeckt schwindelerregende Abgründe zwischen Teppichkanten, findet die vom wohlfeilen Gleichheitsgebot verdeckten Gräben zwischen einer Hausherrin und ihrer Perle, die sich wohl in der selben Wohnung, nie jedoch im selben Schmuckkästchen aufhalten.
Der enorme Zuspruch, den dieses überzeugende Psychogramm auf internationalen Festivals erhielt, beweist, daß man für eine filmische Großtat der Einfühlung nicht unbedingt das Haus verlassen muß. Gedreht wurde im elterlichen Anwesen des Regisseurs, in der Kammer seiner ehemaligen Nana, mit dem Licht, das durch die Fenster hereinfällt, und mit einer Handkamera, die in jede psychologische Ecke kommt. Und ohne diese vier Wände länger als für einen Augenblick zu verlassen, entfaltet Silva hier eine welthaltige Studie über die Terra incognita hinter Raquels Stirn.
Die ist oft zerquält von Migräneattacken, meistens abweisend, immer mißtrauisch. Was genau sich da zusammenbraut? Silva, der neue Meister der etwas anderen Suspense, jongliert gekonnt mit allen Möglichkeiten – den tragischen, aber auch den irrwitzigen. Denn das Schlimmste muß befürchtet werden, als Señora Valdez, freilich mit den besten Absichten, Konkurrenz ins Haus holt. Erst kommt ein Au-pair-Mädchen aus Peru, dann ein ältlicher, aber physisch beeindruckender dienstbarer Geist namens Sonia, und die feindselige Luft ist mit dem Küchenmesser zu schneiden.
Originaltitel: LA NANA
Chile 2009, 94 min
FSK 6
Verleih: Arsenal
Genre: Drama, Psycho
Darsteller: Catalina Saavedra, Claudia Celedón, Agustín Silva, Anita Reeves, Andrea García-Huidobro, Mariana Loyola
Stab:
Regie: Sebastián Silva
Drehbuch: Sebastián Silva
Kinostart: 17.06.10
[ Sylvia Görke ]