Originaltitel: LADY BIRD
USA 2017, 94 min
FSK 0
Verleih: Universal
Genre: Tragikomödie, Erwachsenwerden
Darsteller: Saoirse Ronan, Lucas Hedges, Laurie Metcalf, Timothée Chalimet
Regie: Greta Gerwig
Kinostart: 19.04.18
Nicht Christine! Verdammt noch mal, Lady Bird heißt sie! Dabei war die Stimmung eben noch so gut, als sie stundenlang mit ihrer Mum Marion im Auto dem Hörbuch von Steinbecks „Früchte des Zorns“ lauschten und die Ergriffenheit am Schluß teilten. Doch die eine will danach Musik, die andere Stille. Lady Bird will am liebsten raus aus Sacramento, nach New York zum Studieren, die Mutter zeigt ihr die Grenzen auf – notenmäßig und von den Finanzen mal zu schweigen. Die beiden lieben und bekriegen sich und kämpfen mit ganz ähnlichen Waffen. Wie löst man nun eine derartige Szene auf engstem Raum auf? Greta Gerwig weiß, wie das geht, und läßt Lady Bird, nachdem die Mutter partout nicht anhalten will, die Tür aufmachen und sich in voller Fahrt aus dem Auto werfen.
Wir sind mittendrin im Wahnsinn, der das Leben bedeutet, wenn man 17 ist, wenn Weichen gestellt sein wollen, wenn das Ding mit den Jungs in seifigen Popsongs ganz wunderbar funktioniert, in echt es aber mindestens seltsam ist. Gerwig gelang ein in aller Poesie ungefilterter Blick auf eine irritierte Jugend, die sich häufig nicht als schlank genug, schlau genug, überhaupt als genug empfindet, weshalb es normal ist, eine Frisur aus der Hochglanzgazette zu begehren, über Bräunung nachzudenken und auch manchmal melancholisch zu sein, weil man vielleicht doch auf der falschen Seite der Stadt geboren wurde. Aber wenn man seinen Figuren derartigen Witz zutraut, ganz wunderbare Dialoge dazu geschrieben hat, wie es Gerwig tat, dann ist keiner auf der falschen Seite, es dauert eben nur, bis sich die Dinge richten, bis man weiß, was gut für einen ist. Dann erträgt man es auch, wenn man den eigenen Freund im Klo knutschend erwischt – mit einem Jungen. Eine Type wie Lady Bird muß man mögen – sie ist nur ein klein wenig schlaumeierisch, zögernd, aber nicht lethargisch, sicher gläubig, aber gewiß nicht fundamental-missionarisch, unbequem, aber keine Nervensäge. Daß es zwischen ihr und ihrer Mum ordentlich kracht, hingegen sie mit dem gemäßigten Vater besser zurechtkommt, ist lebensecht, daß man sich für eine gewisse „Armut“ etwas schämt ebenso, und daß der erste Sex mitunter komisch abläuft, nicht weniger.
LADY BIRD ist ein warmherziger Blick auf das Nichtperfekte geworden, eine zärtlich-schroffe Sicht auf die Unsicherheit der Jugend und den Zusammenhalt in der Familie, wenn es wirklich drauf ankommt. Kein Weichzeichner und kein Gossengrau, man kann auch in Zwischentönen von der Kompliziertheit an sich einfacher Dinge erzählen. Abnabeln und Loslassen, Angst und Wagemut, Kondome und Fahrerlaubnis, mehrere Jobs und trotzdem leere Kassen – das Leben verlangt einem ganz schön was ab, und für diese Herausforderung hält Gerwig keine Ratschläge, dafür wunderbare, auch spinnerte Ideen parat. Kurz zu Saoirse Ronan: Man mag sich keine andere als Lady Bird vorstellen. Sie ist perfekt mit der transparenten Haut, dem feinen Haar und scheuen Blick, sie muß sich nicht krümmen, um unsicher zu wirken, nicht hysterisch werden, um Freude zu zeigen. Lady Bird hat Träume, will auch mal cool sein, bringt damit manche Freundschaft ins Wanken, ist darüber hinaus aber ein eher bescheidener, immer sympathischer Mensch. Schon deswegen packt es einen, wenn sie in Jubel ausbricht, allein wegen eines Platzes auf der Warteliste für die Uni. Nicht die Zusage, die Warteliste!
Letztlich ist LADY BIRD eine hinreißend gesungene Ballade über die Liebe zwischen Mutter und Kind. Marion hat Lady Bird mit 42 bekommen, sie selbst nennt es ein Wunder! Und das Herz geht einem auf, wenn schließlich am Ende das Telefon klingelt, kein Ortsgespräch: „Hey Mum And Dad, It’s Me, Christine ...“
[ Michel Eckhardt ]