Der denkende Mensch setzt sich mit seinem sozialen, politischen und kulturellen Umfeld auseinander. Er reflektiert, differenziert, partizipiert an allem Geschehen. Er bildet sich eine Meinung. Da ist Wim Wenders selbstverständlich keine Ausnahme. Seine Bestandsaufnahme zur Situation in Amerika und dessen Wahrnehmung im Rest der Welt ist nun Gegenstand seines neuen Aufsatzes, sorry, seines neuen Films geworden, der leider so wenig und dabei auch nur Oberflächliches ans Licht bringt, was so für die Ängste, die sozialen Abgründe, die grenzenlose Frommheit und den unfaßbaren Selbstverteidigungswahn einer gesamten Nation stehen soll.
Er läßt das junge, unschuldige, gläubige Ding Lana nach Jahren an der Seite ihres missionarischen Vaters im Nahen Osten allein in ihre Heimat zurückkehren. Dort macht sie sich auf die Suche nach ihrem Onkel, einem traumatisierten Vietnam-Veteranen, der seit dem 11. September eine neue Aufgabe gefunden hat: Amerika muß von innen geschützt werden. Daher tastet er das alltägliche Leben Undercover auf Ungewöhnliches hin ab, dokumentiert, filmt. Plötzlich kommt er einem merkwürdigen Chemikalienkurier auf die Spur, die durchaus zu nahöstlichen Bombenbauern führen könnte. An seiner Seite im Kampf gegen das Böse und für die Gerechtigkeit seine Nichte Lana, die aufopferungsvoll in einer Obdachlosenmission untergekommen ist, sich - abwechselnd unter Tränen und Kalbsgrinsen - um die Aufklärung des Mordes an dem jungen Pakistani Hassan fast zerreißt, ohne ihn zu kennen. Eine neue heilige Johanna?
Am Ende seines Films zeigt Wenders noch einmal, was er meint, am besten drauf zu haben: er spielt den besonnenen Mahner und läßt abschließend in großen Lettern "Truth - Some Day" im Raum stehen. In diesem Duktus, in dem eines unnachgiebigen, ja bornierten Oberschullehrers erzählt Wenders seine dröge Mär über das Land, welches er liebt, welches den Präsidenten gewählt hat, den es nun scheinbar nicht mehr verdient. Für die wahren Ungereimtheiten, gerade in der Seele der Nation, hat Wenders keine Zeit. Immer dann, wenn ihm der dünne erzählerische Odem gänzlich zu versiegen scheint, wird schnell ein schmissiger Song eingespielt, die optische Clipkulisse dazu montiert. Was ist LAND OF PLENTY nun eigentlich? Eine Satire auf die Rasterfahndung? Ein ernstgemeintes, mit steifer Sprache geführtes Plädoyer für ein mißverstandenes Volk? Das anzunehmen, wäre wahrscheinlich zu gutgläubig und auch nicht nötig. Dem Befinden eines Landes ist er doch schon in THE MILLION DOLLAR HOTEL nachgegangen. Damals allerdings ohne Zeigefinger und mit großem Gefühl.
Originaltitel: LAND OF PLENTY
USA/D 2004, 123 min
Verleih: Reverse Angle
Genre: Drama
Darsteller: John Diehl, Michelle Williams
Regie: Wim Wenders
Kinostart: 07.10.04
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.