Die Meisterin des klaren Wortes, Bette Davis, hat’s auf den Punkt gebracht: „Getting Old Is Not For Sissies.“ Kinofreunde merken dies auch daran, wie sich die Helden der eigenen Jugend verändern – zum Beispiel Isabella Rossellini, welche einst in DER TOD STEHT IHR GUT nur eine Halskette als Oberbekleidung trug und hier nun Mary spielt, eine von Gedächtnislücken geplagte Frau um die 60. Grund genug, ihrem Gatten Adam zu eröffnen: „Ich bin alt. Du bist alt.“ Adam aber hat was gegen urplötzlich angeschaffte Großtastentelefone und neben der Badewanne installierte Haltegriffe. Kann die langjährige Ehe solche Prüfungen überstehen?
Daß die Inszenierung eher auf heitere Grundtöne und auch radikal überzeichnete Szenen setzt (ganz groß: Mary beim Wasserturnen zwischen lauter jungem Gemüse), verwässert nie das grundlegende Problem. Selbiges manifestiert sich knallhart in einem geradezu schmerzlichen Moment: Adam schleudert seiner Mary zornig entgegen, durch sie fühle er sich alt. Zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen, zwei Gefährten, deren Wege im Begriff sind auseinanderzudriften. Was Regisseurin Julie Gavras einfühlsam und mit Gespür für Details erzählt, ihre Figuren dabei manchmal etwas zu viel reden läßt, wie es im modernen Kino Usus zu sein scheint. Rossellinis stolzer, blitzender, irgendwie italienischer Blick, als Marys Sohn ihr aufhelfen will, ersetzt zwölf Seiten Dialogbuch, wieso diese Reaktion später verbal noch thematisieren? Na ja, geschenkt. Weil Gavras trotzdem wundervolle Ideen bebildert, unter anderem dann, wenn Mary sich die Bluse aufknöpft und durch eine Männerhorde schiebt. Gemeinschaftliches Desinteresse – abgesehen vom feschen Peter ...
Mehr sei jetzt nicht verraten, obwohl auch Marys coole Mutter definitiv eine Erwähnung wert wäre. Ebenso wie die vielleicht schönste Liebeserklärung des Kinojahres 2012, stattfindend an höchst ungewöhnlichem Ort in eigentlich ziemlich unpassender Situation. Oder Marys feministische, henkersgleich rasende, tief drinnen brodelnde Gefühle versteckende Freundin. Und, und, und …
Erneut sei daher Davis das Wort geschenkt: „If You Want A Thing Well Done, Get A Couple Of Old Broads To Do It.“ Nun zählt Gavras wohl (noch) nicht zu den Old Broads, aber mit Blick auf ihr Ensemble im allgemeinen und Rossellini im besonderen kann man da bloß ohne jeden Zweifel zustimmen.
Originaltitel: LATE BLOOMERS
F/GB/Belgien 2010, 90 min
FSK 0
Verleih: Movienet
Genre: Tragikomödie, Liebe, Poesie
Darsteller: Isabella Rossellini, William Hurt
Regie: Julie Gavras
Kinostart: 06.09.12
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...