Es ist ein sehr unvermittelter Filmbeginn: Auf einer kargen Straße schreien sich zwei junge Menschen an, sie hat ihn offenbar seit Paris verfolgt, er will jedoch nichts von ihr wissen, sondern möchte zu seinem Kind, das er seit Jahren nicht gesehen hat. Harte, schnelle Worte in einem Französisch, das überhaupt nicht „charmant“ und „bezaubernd“ klingt.
Der Zuschauer ringt in diesem verbalen Schlagabtausch zunächst um Orientierung. Warum nur verfolgt die attraktive Camille aus gutem Hause den kleinwüchsigen Herumtreiber Costa? Der ist zwar geschmeichelt durch ihre Aufmerksamkeit, stößt sie jedoch immer wieder zurück. Zu diesen Beiden gesellt sich ein Dritter: Cyril, ein Polizist, der stets in Zivil herumläuft, ist seinerseits an Camille interessiert. Er gabelt sie zufällig auf der Landstraße auf, nachdem sie von Costa verlassen wurde, und nimmt sie mit nach Le Crotoy, eine Kleinstadt an der nordfranzösischen Küste, wohin auch Costa unterwegs ist. Beide Männer kennen sich seit Kindertagen, wie eben in einer Kleinstadt jeder jeden kennt.
Regieveteran Jacques Doillon inszeniert in LE PREMIER VENU ein verwickeltes Spiel aus Anziehung und Abstoßung. Die stakkatohaften, atemlosen Dialoge seiner Protagonisten kreisen um die Frage: Was siehst Du in mir? Warum liebst Du gerade mich und nicht einen anderen? Sex ist omnipräsent in ihren Gesprächen – als ein Mittel, den anderen endlich zu besitzen, seiner habhaft zu werden, und doch bleibt der Film auf der rhetorisch-keuschen Ebene. In seinem Zentrum steht die ruhelose Camille, die getrieben ist von einer inneren Unruhe ohne klares Ziel. In Costa meint sie, ein solches Ziel zu entdecken, aber könnte es nicht ebenso gut auch Cyril sein? Sie ist sich ihrer eigenen Attraktivität bewußt, die sie zuweilen manipulativ einsetzt, gleichzeitig aber ist sie eine verletzliche junge Frau, die sich selbst noch nicht wirklich kennt.
Dieses Schwanken einer ungefestigten Persönlichkeit an der Schwelle zum Erwachsensein interessiert Doillon. Leider ist sein Film eine recht theoretische Versuchsanordnung, die zwar Interesse weckt, deren Figuren jedoch nicht nur untereinander, sondern auch zum Zuschauer auf Distanz bleiben.
Originaltitel: LE PREMIER VENU
F/Belgien 2008, 121 min
Verleih: Kinemathek
Genre: Drama, Experimentalfilm, Liebe
Darsteller: Gerald Thomassen, Clementine Beaugrand, Guillaume Saurrel, Gwendoline Godquin
Regie: Jacques Doillon
Kinostart: 19.05.11
[ Dörthe Gromes ]