Es ist echte Geduldsarbeit. Andy Goldsworthy reiht jedes Laubblatt einzeln aneinander, derart, daß eine ebenmäßige Linie entsteht. Knallrot ist sie, so leuchtend rot, wie Herbstlaub eben ist. Von weitem sieht es aus, als hätte jemand einen Warnstrich auf den Fußboden gemalt. Wer genau hinguckt, erkennt aber die Blattstruktur und begreift die Mühe, die sich der Künstler damit gemacht hat.
Andy Goldworthy aber legt nicht nur Striche aus Blättern auf Straßen. Er beklebt seine Hände mit buntem Blattwerk oder läßt Schafe auf einem weißen Stück Stoff herumtrampeln, bis ein Muster entsteht. Er legt Baumstämme kreuz und quer in den Wald, klettert durch Hecken und unwegsames Gelände. „Du kannst auf dem Gehweg gehen, oder Du kannst durch die Hecke kriechen, ich denke, das sind zwei verschiedene Weisen, durch die Welt zu gehen“, sagt der 61jährige. So wie andere Künstler die menschliche Seele durchwühlen, um sich die Welt zu erklären, nimmt Goldworthy das, was die Erde ihm bietet: Gras, Erde, Holz. Er bringt alles in eine neue Ordnung und verschiebt so die Perspektive.
Und was in der Theorie bewundernswert und fast revolutionär erscheint, wirkt in der Praxis manchmal kauzig. Es ist schon seltsam, wie Goldworthy Blätter in die Bäume hängt oder sich im Regen auf Pflastersteine legt, nur, um für ein paar Sekunden danach den Abdruck seines Körpers auf den Steinen zu sehen. Dabei gilt Goldworthy als bedeutender Vertreter der Landart oder Naturkunst, der für manche Kunstwerke mittlerweile ganz Teams benötigt, die mit Kettensägen Steine zerkleinern oder eine ganze Baumlandschaft in ein Haus hinein verfrachten.
Thomas Riedelsheimer hat ein liebevolles Porträt über einen Menschen gedreht, dessen Sein und Tun miteinander verschmolzen sind. Schon sein RIVERS AND TIDES wurde international gewürdigt, erhielt den Deutschen Kamerapreis und den Preis der Deutschen Filmkritik. Und auch im neuen Film beobachtet die Kamera seinen Protgonisten ausschließlich dabei, wie seine Kunstwerke zuerst in seinem Kopf und dann in der Natur entstehen. Vieles, was er schafft, ist vergänglich, wird vom Wind oder vom Wasser weggewaschen und fortgetragen. Das ist poetisch und fungiert als Metapher für das menschliche Leben. Riedelsheimer schafft es, in ein Künstleruniversum einzutauchen, das sehr eng ist und gleichzeitig an den Grenzen ausufert. Außer Goldsworthys Tochter kommen keine anderen Menschen im Film zu Wort, was irgendwie schade, aber auch konsequent ist. So wie die Kunst selbst.
D 2017, 93 min
FSK 0
Verleih: Piffl
Genre: Dokumentation
Regie: Thomas Riedelsheimer
Kinostart: 14.12.17
[ Claudia Euen ]