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Leave It On The Floor

L.A. brennt

Als Brads Mutter ihn erwischt, wie er Schwulenpornos schaut, setzt sie ihn eiskalt vor die Tür. Der Junge schnappt sich kurzerhand den Wagen und flieht aus dem tristen Vorort, hinein in den bunten Untergrund von Los Angeles. Hier stolpert er in eine Ball Competition und bekommt eine ausführliche Erklärung dieser bunten Subkultur, die in dem Dokumentarfilm PARIS IS BURNING bereits porträtiert wurde, auf dem Sheldon Larrys Spielfilm übrigens aufbaut.

Die Ballroom Community ist eine Gemeinschaft aus vorwiegend schwarzen Schwulen, Lesben und Transsexuellen, die auf dem Laufsteg gegeneinander antreten. Sie sind in Familien organisiert, die – wie es sich gehört – von einer Mutter angeführt werden. Brad wird im House Of Eminence von Kweef Latina landen, ein mit Preisen übersätes, aber inzwischen erfolgloses Familienoberhaupt. Bei den Competitions geht es um das schrillste Outfit, den heißesten Körper, den originellsten Tanz. Das Cinemascope-Kinomusical zeigt dabei auf, daß die einstigen Mavericks längst im Mainstream angekommen sind: Stars wie Madonna oder Christina Aguilera haben sich in dieser Szene fleißig Inspiration für Outfits und Shows geholt, für Musik und Choreographie im Film zeichnen zwei feste Mitglieder aus Beyoncés Kreativteam verantwortlich.

LEAVE IT ON THE FLOOR spielt mit diesen Verbindungen, zeigt die Wurzeln moderner Popkultur im Untergrund auf und überhöht das, was in den Händen großer Konzerne daraus geworden ist. Zum Beispiel, wenn Brad und Princess in einem Cafe sitzen, sie dann singend und tanzend davon erzählt, daß Justin Timberlake sie jeden Moment anrufen wird, um sie zu seiner Choreographin zu machen. So entlarvt der Film immer wieder auf wundervolle Weise die in überholten Geschlechterrollen festgefahrene Musikindustrie. Der Farbenrausch der Kostüme und Locations sprengt dabei jede Vorstellungskraft. Da wird selbst eine an sich schnöde Bowlingbahn flugs zur großen Bühne mit Lichtshow. Die genretypisch überdrehte Melodramatik schafft es trotz gehöriger Dosis an puderbestäubter Hysterie zu berühren, was zum einen an den tollen Darstellern liegt, die teils echte Drags und keine Schauspieler im herkömmlichen Sinne sind, zum anderen aber auch daran, daß sich der Film kritisch mit gesellschaftlichen Klischees zum Thema Transsexualität auseinandersetzt.

LEAVE IT ON THE FLOOR ist auch ironiefähig – der Film nimmt die Szene selbst auf die Schippe, was jede nahende Herbstdepression wie Glitzerstaub wegpustet.

Originaltitel: LEAVE IT ON THE FLOOR

USA 2011, 105 min
FSK 16
Verleih: Salzgeber

Genre: Drama, Musik

Darsteller: Ephraim Sykes, Andre Myers, Phillip Evelyn

Regie: Sheldon Larry

Kinostart: 22.11.12

[ Marcel Ahrenholz ] Marcel mag Filme, die sich nicht blind an Regeln halten und mit Leidenschaft zum Medium hergestellt werden. Zu seinen großen Helden zählen deshalb vor allem Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij, Michelangelo Antonioni, Claude Sautet, Krzysztof Kieslowski, Alain Resnais. Aber auch Bela Tarr, Theo Angelopoulos, Darren Aronofsky, Francois Ozon, Jim Jarmusch, Christopher Nolan, Jonathan Glazer, Jane Campion, Gus van Sant und A.G. Innaritu. Und, er findet Chaplin genauso gut wie Keaton ...