D 2018, 83 min
FSK 0
Verleih: Salzgeber
Genre: Dokumentation
Regie: Alexa Karolinski
Kinostart: 23.08.18
Mehr als 70 Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft und damit auch der systematischen Judenverfolgung scheint es noch immer keine tragsichere jüdische Normalität in Deutschland zu geben. In letzter Zeit häufen sich Medienberichte über antisemitische Vorfälle, Menschen wurden aufgrund ihres Jüdischseins auf der Straße offen angefeindet. Die Synagogen werden aus Furcht vor Anschlägen in der Regel bewacht. Die Mehrheit der Deutschen hat in ihrem Alltag kaum Berührungspunkte mit jüdischen Menschen und ihrer Kultur. So werden die deutschen Juden in eine Art Sonderrolle gedrängt.
Die jüdischstämmige Filmemacherin Alexa Karolinski setzt in LEBENSZEICHEN dieser Sonderrolle den gelebten jüdischen Alltag in der Hauptstadt entgegen. Sie tut dies auf sehr persönliche Art und Weise, quasi aus der Binnenperspektive heraus. Etwa beobachtet sie ihre aus Kanada stammende Mutter beim Decken des großen, festlichen Tisches für das Rosch-Haschana-Fest, den jüdischen Neujahrstag. Die Mutter erzählt dabei, wie fremd es für sie anfangs war, im Land der Täter zu leben.
An der Auseinandersetzung mit der Geschichte führt für Juden in Deutschland kein Weg vorbei. Anders als die Mehrheitsgesellschaft läßt sich die Geschichte für sie nicht „wegdrücken“, schließlich hat so gut wie jede Familie Angehörige und Freunde im Holocaust verloren. Eine alte Dame erinnert sich daran, wie sie der Verfolgung durch das Verstecken in einem Bunker entging, siebeneinhalb Monate verbrachte sie in Dunkelheit, um zu überleben. Wie muß es sich für sie anfühlen, wenn heute ein Politiker diese Zeit öffentlich als „Vogelschiß in der deutschen Geschichte“ verharmlost?
Karolinski geht es nicht um eine systematische Abarbeitung des Themas, ihr Film nimmt vielmehr assoziativ Gesprächsfäden und Stimmungen auf. Die Kamera blickt zum Beispiel auf das Holocaustdenkmal, auf die vielen Stolpersteine im Straßenpflaster, manchmal auch einfach nur in die Wolken. Man hört die Stimme der Filmemacherin im Gespräch mit ihren Interviewpartnern, deren Namen erst im Abspann zu lesen sind. Sie selbst kommt jedoch nie ins Bild. Dieses Vorgehen generiert stärkere und schwächere Momente. Vieles erschließt sich, anderes bleibt sehr fragmentarisch. In jedem Fall ist LEBENSZEICHEN eine Anregung, sich selbst auf Spurensuche zu begeben, sei es in der Nachbarschaft oder in der eigenen Familie.
[ Dörthe Gromes ]