"Wir sind Motörhead, und wir treten Euch in den Arsch" ist der erste Satz von Lemmy in diesem Porträt von Peter Sempel, welches der Regisseur selbst in der Untertitelung "A cinemaveritémotörartpunkfilm" nennt. Bis zu diesem Moment hat er den Zuschauer schon über staubiges Festivalgelände geführt, hier und da einen Fan befragt, die Stimmung vor einem Konzert eingefangen. Nach diesen ersten Filmminuten ist es dann soweit, der Zuschauer darf eintauchen in die Welt des Ian Fraiser Kilmister, Frontmann, Bassist und Sänger von Motör-head, genannt Lemmy. Wer nun darauf wartete, tatsächlich "in den Arsch getreten" zu werden, der sollte sich bezüglich der Bedeutung solcher Worte und ihres Gewichtes aus dem Munde des legendären Schwermetallers eines Besseren belehren lassen.
Sempel, der Lemmy über vier Jahre mit der Kamera begleitet hat, zeigt auf eigenwillige Art und Weise, daß der auf der Bühne provokant agierende Musiker, das saufende und auf Frauen fixierte Idol, ein nachdenklicher und sensibler Mensch ist. Weggefährten und Kollegen, Publikum und Freunde kommen zu Wort, und immer wieder heftet sich der Filmemacher auch außerhalb des Konzertbetriebes an die Fersen seines Hauptakteurs. In einem Bistro oder in der Nähe eines Spielautomaten gelingt es ihm, große Nähe herzustellen. LEMMY widersetzt sich dabei immer wieder der Interviewform, die beiden führen vielmehr Gespräche, deren Verlauf und Ausgang immer offen bleiben - der Film trägt hier in der Tat die Züge eines Cinema Verité. Vieles, was unausgesprochen bleibt, fängt Sempel mit der Kamera ein. Er filmt Lemmy im Studio bei den Aufnahmen zu einem neuen Album, den Schriftzug "Born To Lose" auf dem Rücken des ruhelosen Spielers, und er fängt andere vielsagende Momente ein, wie den, wo der Star lässig für Fotografen posiert und das Authentische verloren geht. Bei dem Mix aus Gesprächen, Konzertmitschnitten und Backstage-Szenen bedient sich Sempel verschiedener Montagetechniken, was dem Film auch ästhetisch zu Spannung verhilft.
Daß er schlußendlich auch die Homepages der Band ablichtet, mag dem Konzept eines abgerundeten Bildes entsprechen, erscheint aber dennoch überflüssig und in dieser Funktion müßig. Auch wenn der Zuschauer am Ende viel mehr weiß von Ian Fraiser Kilmister und einer Musikszene, die mit dem Begriff "Heavy Metal" stigmatisiert, aber nicht beschrieben ist, auch Sempels Doku kann nur ein Fragment sein. Mit LEMMY porträtiert er nämlich auch einen Menschen, der es immer wieder versteht, Leute auf Distanz zu halten.
D 2005, 104 min
Verleih: Neue Visionen
Genre: Dokumentation, Biographie, Musik
Darsteller: Ian Fraiser Kilmister, Phil Campbell, Derek Green
Regie: Peter Sempel
Kinostart: 01.06.06
[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.