Irgendwo in Finnland lebt Ruben. Weil er gleich zu Anfang neben seinem blondgeschopften Lover erwacht, steht zu vermuten, daß der gebürtige Franzose einst der Liebe wegen auswanderte und homosexuell ist. Ersteres bleibt eine These, zweite Annahme bestätigt sich schnell, allerdings auch reichlich nervtötend, denn Klischees werden ja nun kaum witziger, wenn sie ironisch ungebrochen, dafür jedoch im günstigen Mehrpack auftauchen. Will heißen: Ruben trägt neben einem wahnsinnig virilen Brustpelz so ziemlich alles zur Schau, was die Erotik-Expertin Lieschen Müller jemals von Schwulen gehört hat. Na ja, wir verfügen über Leidensfähigkeit und schauen einfach mal, was jetzt geschieht, obwohl allein diese tuffige, für kreischige Ausbrüche geradezu prädestinierte Fistelstimme regelmäßige Zusammenzucker garantiert.
Die Handlung hoppelt forsch voran. Es kommt zur Trennung und Rubens Rückkehr nach Frankreich, das bislang augenattackierend bunte Zuckerbäcker-Ambiente (Regisseur Mikael Buch nennt wohl nicht umsonst Douglas Sirk als ein Idol ...) erfährt zumindest optische Mäßigung. Inhaltlichen Ausgleich schaffen indes polternde Umstände: Rubens jüdische Familie blickt dem Passahfest entgegen, seine übermächtige Mutter versucht ungeachtet grundsätzlichen Verständnisses konsequent, den verlorenen Sohn an ein nettes Mädchen zu vermitteln, die Schwester bewältigt Eheprobleme, ein One-Night-Stand mit obsessiven Folgen birgt Probleme ...
Ja, das grölt ohrenbetäubend laut aus allen Ecken! Und Moment mal: Scheint die Inszenierung nicht häufig verdächtig vertraut? Tatsächlich haben die Klischees ihre entfernte Kollegin „Reminiszenz“ eingeladen, welche ungefragt die böse Zwillingsschwester „billige Kopie“ anschleppt. Wir legen zu Recherchezwecken eine kurze Pause ein und finden ein Interview, in dem Mikael Buch irgendwo zwischen selbstbewußt und abgehoben drei Regisseure preist, die zur komödiantischen Erleuchtung beitrugen – namentlich Woody Allen, Pedro Almodóvar sowie Wes Anderson.
Aber hallo! Zugegeben, gerade Almodóvars Frühwerk linst schon arg offensichtlich aus jedem Meter, während hier keine Frau, sondern Ruben am Rande des Nervenzusammenbruchs steht. Trotzdem: Von den genannten Meistern könnte und sollte Buch noch jede Menge lernen, selbst wenn Pedro-Muse Carmen Maura in ihren paar Szenen wenigstens etwas ausgleichende Freude verbreitet.
Originaltitel: LET MY PEOPLE GO!
F 2011, 87 min
FSK 12
Verleih: Pro Fun
Genre: Schwul-Lesbisch, Komödie, Schräg
Darsteller: Nicolas Maury, Carmen Maura, Jean-François Stévenin, Amira Casar, Clément Sibony
Regie: Mikael Buch
Kinostart: 11.10.12
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...