Originaltitel: LETO
F/Rußland 2018, 128 min
FSK 12
Verleih: Weltkino
Genre: Musik, Drama, Historie
Darsteller: Roma Zver, Irina Starshenbaum, Teo Yoo
Regie: Kirill Serebrennikow
Kinostart: 08.11.18
Rußland und Rockmusik? Eine hierzulande kaum bekannte Kombination. Aber natürlich gibt es im Riesenreich weit mehr als nur Balalaikageklimper und Donkosaken-Chöre. Kirill Serebrennikow – Enfant terrible der russischen Film- und Theaterszene und seit einem guten Jahr wegen der angeblichen Veruntreuung von Geldern unter Hausarrest – hat den Anfängen der Rockmusik in der Sowjetunion und ihren Helden eine schwelgerische, mitunter auch herrlich pathetische Hommage gewidmet. Sein Film LETO (russisch: Sommer) feiert das Lebensgefühl in der Leningrader Underground-Rockszene zwischen Bohème und Kommunalka.
Von Perestroika war damals zu Beginn der 80er kaum etwas zu ahnen und westliche Rockmusik gesellschaftlich verpönt. Aber natürlich gab es Nischen im System. So den Leningrader Rockklub, in dem die Ordner peinlich genau darauf achten, daß im Publikum ja niemand von den Sitzen aufsteht oder auch nur zu stark mitwippt, und die Texte müssen zuvor genehmigt werden. Mike Naumenko tritt dort regelmäßig mit seiner Band „Zoopark“ auf. Der stille Sänger und Songschreiber Viktor Zoi sucht die Nähe des Lokalmatadors, und im Verlauf eines Sommers wächst zwischen beiden eine Freundschaft. Begleitet wird sie von einer zarten Liebelei zwischen Viktor und Mikes Frau Natascha.
Die Namen Zoi und Naumenko sind bis heute in Rußland legendär und genießen quasi Heiligenstatus. Dazu trug sicher auch der frühe Tod der zwei Musiker Anfang der 90er Jahre bei. Doch im überwiegend in Schwarz-Weiß inszenierten Film ist von dieser kommenden Tragödie noch nichts zu ahnen. Die eigentliche Hauptrolle spielt ohnehin die Musik. Sowohl der russische Rock als auch westliche Künstler wie Talking Heads und Velvet Underground werden geradezu hymnisch gefeiert. Überhaupt wirkt LETO wie ein zweistündiges, rauschartiges Musikvideo. Es gelingt dem Film, die anarchische Kraft der Musik in originelle Bilder zu übersetzen. Dafür wird die eigentliche Handlung immer wieder durch surreale, clipartige Einschübe unterbrochen, über die wilde Animationen wuchern. Lakonischer Humor wechselt mit sehr poetischen Sequenzen.
Man sollte auf keinen Fall verpassen, wie die Passagiere einer Leningrader Straßenbahn plötzlich anfangen, „Passenger“ von Iggy Pop zu singen, oder im Vorortzug zu „Psycho Killer“ von den Talking Heads eine Tomatenschlacht eskaliert. Nicht zuletzt ist diese Musik Vorbotin des bevorstehenden gesellschaftlichen Umbruchs in der Sowjetunion.
[ Dörthe Gromes ]