Originaltitel: LEVIATHAN
Rußland 2014, 141 min
FSK 12
Verleih: Wild Bunch
Genre: Drama
Darsteller: Aleksey Serebryakov, Elena Lyadova, Vladimir Vdovitchenkv
Regie: Andrey Zvyagintsev
Kinostart: 12.03.15
Vorsicht: Dieser Film ist verleumderisch und beleidigend. Oder, um es mit dem russischen Politikwissenschaftler Sergej Markow zu sagen, der kürzlich mit der bellenden Schärfe des patriotischen Ideologen konstatierte: LEVIATHAN ist ein Produkt des „ ... neuen Kalten Krieges des Westens gegen Rußland“, eine „ ... antirussische politische Bestellung, gedreht mit russischen Budgetmitteln.“
Markow ist dabei nur einer von vielen, die sich seit Geraumem in einer Mischung aus bräsiger Bigotterie, wadenbeißendem Nationalismus und klebriger Obrigkeitsanbiederei auf Andrey Zvyagintsevs preisgekrönten Film LEVIATHAN einschießen. Munitioniert mit jenem Sowjetzeiten-Rhetorik-Gemisch aus kleinbürgerlicher Impertinenz und chauvinistischer Aggressivität, das man in dieser Form naiverweise dann doch irgendwie schon für ausgestorben hielt.
Aber so wie LEVIATHAN etwas zeigt über die mentale Gemengelage des heutigen Rußlands, so zeigen es dann auch diese Reaktionen gegen den Film. Diesen bestätigend, indem und vor allem in welcher Art sie ihn ablehnen. Ihm Recht gebend, genau in dem Moment, in dem sie ihn verwerfen, der Lüge bezichtigen. Dabei natürlich ignorierend, daß LEVIATHAN weit mehr ist als eine gesellschaftskritische Gegenwarts-Bestandsaufnahme. Mehr ist als ein Politikum, weil höher greifend und tiefer grabend.
Was allein der Titel des Films ahnen läßt, schlägt LEVIATHAN doch in seinen inhaltlichen Assoziationen einen großen Bogen. Zum biblischen Motiv ebenso wie zu Thomas Hobbes’ berühmtem staatsphilosophischen Exkurs „Leviathan oder: Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates.“
Stoff, Form, Gewalt. Nach Kirowsk, einer kleinen Stadt an der Barentsee, reist der Moskauer Anwalt Dmitri. Sein alter Freund Kolia hat ihn um Hilfe gebeten. Der Automechaniker lebt mit seiner Frau Lilya und Sohn aus erster Ehe auf einem Grundstück mit imposantem Meerblick. Ein Grundstück, auf welches es Bürgermeister Schelewjat schon länger abgesehen hat. Dumm nur, daß Dmitri nicht verkaufen will. Was freilich für ihn und seine Familie das Leben in Kirowsk zunehmend erschwert. In der Wahl seiner Mittel war Schelewjat noch nie zimperlich. Wie auch das kompromittierende Material beweist, das wiederum Dmitri gegen den korrupten Bürgermeister in der Hand hat.
LEVIATHAN hebt an mit grandiosen Bildern, unterlegt vom Pulsieren einer Philip-Glass-Sinfonie. Eine Landschaft ist zu sehen, die in der Tat eine vom Ende der Welt zu sein scheint. Und das meint nicht nur den geographischen Aspekt. Die Konnotationen dieser Ouvertüre sind die einer Überhöhung in mehrfacher Hinsicht und variieren leitmotivisch über den ganzen Film hinweg. Und wenn irgendwann in dessen mäanderndem Handlungsverlauf das am Strand verbleichende Skelett eines Wales die Kulisse bildet, ist das nicht nur als Metapher für das monströse Verrotten des Leviathans „Staat“, sondern eben auch als ein Verweis auf die letztliche Nichtigkeit jedweden Daseins lesbar.
Und vielleicht ist genau das der eigentliche Stachel in diesem dunklen Drama, das bitter und trostlos im wahrsten Sinne Kolia das Schicksal eines Hiob auferlegt. LEVIATHAN erzählt das mit einer stillen, illusionslosen Rigorosität, die zugleich etwas Befreiendes hat. Die emanzipatorische Kraft nämlich, die in jeder künstlerischen Entäußerung einer tieferen Wahrheit ruht.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.