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Liberace

Das Landei und die Rampensau – eine große Liebesgeschichte

Steven Soderbergh macht keine Gefangenen, hier wird nicht lange gefackelt, es dröhnt Donna Summer aus den Boxen, die Tom-Of-Finland-Poster pappen an der Wand, der Zigarettenrauch vermengt sich mit der schwül-knisternden Luft an der Bar: Es geht um Lust. Gleich zu Beginn kreuzen sich die Blicke zwischen Scott, einem fönfrisierten, semmelblonden 17jährigen aus Wisconsin, und Bob, um einiges älter, mit Schüttelfrisur, Lederbärtchen und Tanzkörper. Die Konversation der beiden ist wenig subtil und dennoch alles verratend: „Hi!“ Der Flirt, der zu vermutende Sex, die daraus entstehende Freundschaft zwischen dem Küken und dem alten Hasen sind die Introduktion zu einer Begegnung des Lebens.

Denn eines Tages schleppt Bob den Knaben nach Las Vegas, wo einer der größten Stars der damaligen Zeit auftritt – Liberace. Der wird mit wellenartigem Stimmgetrommel als „Mr. Showmanship“ ankündigt, und das ist beileibe kein Deut zu viel. Wie Liberace, ein Virtuose am Klavier, sein Publikum um den Finger wickelt, es in seine aus heutiger Sicht durchschaubaren, aber noch immer mitreißenden Interaktionsspielchen einbezieht, ist groß. So groß, daß der staunende Scott nur ein Wort rauskriegt: „Wow!“ Große Augen aber kriegt auch der knapp 60jährige Pianostar, als Bob ihm den Jungen in der Garderobe vorstellt. Kurz darauf führt Liberace die beiden durch sein Haus, der Anfang einer großen Liebe, der Anfang einer zwischenmenschlichen Katastrophe.

In den USA lief LIBERACE nur im Fernsehen, bei uns – gottlob – kommt er ins Kino, denn da gehört er hin: Steven Soderbergh ist viel mehr als eines der üblichen Biopics gelungen, er schuf ein genau gezeichnetes Zeitporträt, eine umwerfende Charakterstudie und – das Intensivste von allem – eine tragische Liebesgeschichte. Doch zuerst regiert der Humor: Liberace gibt dem Affen Zucker, wenn er Scott durch seinen Palast des Kitsches führt, anekdotenstark und mit herrlichem Tuntenwitz. Deswegen schmilzt das letzte Körnchen Eis genau dann, als Liberace Scott seinen Pudel vorstellt: Babyboy. Der leidet an schwerer Augenkrankheit, wer weiß da wohl Rat als aktiver Hundetrainer?

Es fängt doch schön an mit den beiden, wie Lee, so dürfen ihn Freunde nennen, Scott mit den Augen verschlingt, sich in theatralischer Manier gleichzeitig groß und dann wieder hilfsbedürftig und schwach macht, und wie er mit deftigem Witz nach geduldsam beigewohnter Schilderung von Scotts Lebens- und Leidensweg (-zig Geschwister, ein paar Halbschwestern, Kinderheim, Foster-Eltern, ganz allein ...) konkludiert: „Fehlt ja eigentlich nur noch ein Feuer im Waisenhaus!“ Weiter geht’s: das Schampusbad im Whirlpool, kleine Häppchen vom Houseboy, der erste Wagen, ein neuer Pelz, schwerer Schmuck – die beiden sind nun ein Paar.

Soderbergh begriff es aufs Trefflichste, die unterschiedlichen Charaktere der beiden fein herauszuziselieren: Scott findet erstmals partnerschaftliche Zuneigung, auch der Wohlstand blendet ihn, und Liberace schießlich kennt alle Tricks, Menschen zu manipulieren, dieses Gesuhle im Selbstmitleid, dieses Wechselspiel aus Verwöhnen und Vorwerfen, und weil er eben ein großer Narziß ist, wohlgemerkt kein unsympathischer, verlangt er ewige Jugend von seinem Gespielen, dessen Wesensveränderung nach zahlreichen chirurgischen Eingriffen nicht ausbleibt, weshalb Liberace dann aus dem Bund kurzerhand eine offene Beziehung macht. Der Anfang vom Ende.

LIBERACE ist ein ganz großer Wurf geworden – dieses Jonglieren mit Komik und Tragik, diese Balance aus Schrillem und Echtem, die Zerrissenheit Liberaces (offiziell hetero und Muttersöhnchen, dazu Klappengänger und Egoschwein) ist zum Verrücktwerden, das Auffahren skurriler Nebenfiguren (unschlagbar: Rob Lowe mit sehr, sehr schweren Lidern als Schönheitschirurg) und das Eintauchen in diesen wabbeligen Kosmos des Prunks, der Dekadenz und ausgewiesenen Geschmacklosigkeit sorgen für bestes Unterhaltungskino.

Und dann diese Schauspieler! Natürlich ist es Michael Douglas, der hier eine seiner besten Leistungen abruft. Wie er diese Figur mit ihren aufwendigen Roben, dem falschen Haar und dem protzigen Schmuck regelrecht assimiliert, ist atemberaubend, wie er umschalten kann vom übergroßen Entertainer zum Charmebolzen, vom verschmusten Kätzchen zur Furie mit bösen Eidechsenaugen – Chapeau! Aber es ist auch Matt Damon, der brilliert. Noch nie war er in einer derart facettenreichen Rolle zu sehen, diesen Ball nutzt er und spielt ihn bis zur Perfektion aus. Das Leichte, das noch Grüne, das Staunen, das Verlieben, das Zweifeln, das Fordern, den Absturz und das Bedauern – man nimmt ihm alles ab!

Am nachhaltigsten geht einem das Vertun einer großen Liebe an. Zu bedauerlich ist die Erosion eines über gar nicht so kurze Zeit echten Bundes. Denn man fragt sich wirklich, weil es an sich gut losging: Warum kann es denn nicht wenigstens dieses Mal gut bleiben? Für eine Type wie Liberace aber sind die Jungs austauschbar, selbst wenn Scott der beste für ihn war. Einer wie Lee braucht den ständigen Applaus, das dauernde Bestaunen, eine ordentliche Dosis Hörigkeit. Daß dies bei Scott nicht anders ist, wird überdeutlich, als Lee eines Tages den Jungen Babyboy ruft. Wie seinen Pudel.

Originaltitel: BEHIND THE CANDELABRA

USA 2013, 118 min
FSK 12
Verleih: DCM

Genre: Drama, Liebe, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Michael Douglas, Matt Damon, Dan Aykroyd

Regie: Steven Soderbergh

Kinostart: 03.10.13

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.