D 2020, 157 min
FSK 16
Verleih: Wild Bunch
Genre: Biographie, Drama
Darsteller: Albrecht Schuch, Jella Haase, Jörg Schüttauf, Anja Schneider, Joel Basman
Regie: Andreas Kleinert
Kinostart: 11.11.21
Wer in der DDR jung war und sich altersgerecht an allem Offiziellen reiben wollte, hatte es schwer, Idole zu finden, mit denen man halbwegs die Lebenswelt teilte und die trotzdem nie staatstragend und damit als Reibungsvorbild untauglich wurden. Es gab Idole, die im berüchtigten Rebellionskostüm „Lederjacke“ FDJ-Veranstaltungen rockten und rollten und doch nie ganz den hygienischen Stallgeruch der sozialistischen Paßgenauigkeit verloren. Es gab Idole, die man erst als solche identifizierte, als sie der DDR den Rücken kehrten. Und es gab Idole, von denen man besser nichts wußte, weil sie einen vielleicht bewußt in die unbequeme Existenz einer Dauerrevolte gezwungen hätten.
Thomas Brasch, der liebe Thomas im Titel dieses Films, war so ein Typ: privilegierter Funktionärssproß, weltbürgerlich informierter Immigrantensohn mit besten Verbindungen zur Ostberliner Kultur-Hautevolee – und mit dem schlechtesten Benehmen gegenüber jeder Art von sozialistischer, von irgendeiner Autorität. Die DDR, mit der er bis zu seinem frühen Tod 2001 widerspenstig verbunden blieb, hat ihn erst wirklich zur Kenntnis genommen, als sie schon nicht mehr existierte. Natürlich mit Ausnahme der deutschen demokratischen Behörden, die ihn schon 1965 wegen „Verunglimpfung führender Persönlichkeiten der DDR“ vom Journalistik-Studium in Leipzig ausschlossen und nicht müde wurden, sein Aus-der-Reihe-Tanzen weiterhin mit gerichtlichen und erzieherischen Maßnahmen zu begleiten. Bis zum Ausreiseantrag, dem 1976, vermutlich erleichtert, stattgegeben wurde.
Andreas Kleinert ist der Stilist unter den deutschen Filmemachern mit Ostsozialisation. Sein fiktionales Biopic über Brasch erlaubt sich alle unökonomischen Fisimatenten, manierierten Mätzchen, gedanklichen Umwege und formalen wie erzählerischen Dehnungen, die aus Film Gift machen: das süße Gift der Empathie. Hier materialisiert sich die Widerborstigkeit eines gnadenlosen Individualisten, der wohl in jedem ideologischen System an die Grenzen des sozial Verträglichen gestoßen wäre. Hier bekommt die graue Geschichte des deutschen Ostens ein markantes Schwarzweiß, das nicht nostalgisch vernebelt, sondern ästhetisch authentisch ein auf die Spitze getriebenes Wechselbad zwischen totaler politischer Identifikation und totalem persönlichen Zweifel als unauflösbaren Kontrast bewahrt. Und Kleinert bleibt dicht an den künstlerischen und verbalen Äußerungen von Brasch selbst, der erst in der BRD vom Schreiber und Dramaturgen zum Filmemacher avancierte: „Ich mag Buntfilme nicht, das heißt Filme, in denen Farben unkontrolliert wie im Leben vorkommen.“ Nein, unkontrolliert ist bei Kleinert gar nichts: nicht die Farben, nicht die in Dialogen und Personenkonstellationen nachvollzogenen Temperamente und Konflikte.
„Was ich habe, will ich nicht verlieren“ – so betitelte Brasch ein Gedicht, das er 1977 aus dem bundesdeutschen Westen der verlassenen DDR hinterherschrieb. Alle Zeilen enden auf „aber.“ Kleinert macht dieses „Aber“ zum poetischen Strukturprinzip, dem er die biographischen Passagen unterordnet – vielleicht so, wie Brasch sein Leben an den Abers und Trotzdems und Sowiesos entlang lebte, an den Abers und Trotzdems und Sowiesos der deutschen Doppelgeschichte des 20. Jahrhunderts. Als BRD-Filmemacher wurde er nach Cannes eingeladen – sonnenbebrillt, großmäulig wie Fassbinder und all die anderen westdeutschen Systemsprenger. Als Ostflüchtling verbrannte er sich das Maul, als er den Bayerischen Filmpreis 1981 mit einer Danksagung an die DDR verband. „Den Widerspruch auszuhalten und zu verschärfen“ – das war sein Credo.
[ Sylvia Görke ]