Originaltitel: N’AVOUE JAMAIS

F 2024, 95 min
FSK 6
Verleih: Neue Visionen

Genre: Tragikomödie, Liebe

Darsteller: André Dussollier, Sabine Azéma, Thierry Lhermitte, Joséphine de Meaux

Regie: Ivan Calbérac

Kinostart: 01.08.24

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Liebesbriefe aus Nizza

Ich hau Dir auf die Augen, Kleines

Hoch soll sie leben! Vermutlich träumt Ex-Militär François davon, Gattin Annie zwecks angemessener Ehrung aus einer Kanone in den Himmel zu feuern, leider muß es ersatzweise das zur Melodie der Marseillaise eigens gedichtete Quasi-Kampflied tun. Mit am Tisch sitzen der gute Sohn (vermehrungsfreudiger Stammbaumpfleger), die väterliche Enttäuschung (sensibler Puppenspieler) sowie eine unverheiratete, leicht spröde Tochter.

Die Figuren ohne Mühe so treffend klar ge- wie dezent überzeichnet, fügt Regisseur Ivan Calbérac der äußerlich ehernen Ehe jetzt parallel feinste Risse hinzu. Etwa, wenn Annie nach Flucht der Kinder ihren Arm zu zögerlich und spät um François’ Hüfte legt. Jeweils bloß einen Tick, man hat sich ja ein unbezwingliches Bollwerk gebaut. Oder? Plötzlich platzt die Bombe: François entdeckt alte Briefe, darin Preisungen von Annies offenbar anbetungswürdigem Venushügel. Eigentlich definitiv verjährt, allerdings aus Zeiten bereits bestehender Verbindung. Der übeltätige Schreiberling, ein damaliger beiderseitiger Kumpel, wird nun aufgesucht und zur Rede gestellt – einen zuschlagbereiten Spaten in der verkrampften Hand.

Den anschließenden Triotanz auf dem Vulkan inszeniert Calbérac weniger als feuriges Latein denn eher bourgeoisen Standard, achtet stets darauf, sein anvisiertes Publikum nirgends zu verlieren, beispielsweise durch zwar ganz kurz in den Raum verbalisierte, doch eben nicht zu Ende referierte Polyamorie. Kleiner Denkanstoß, reicht, der nächste bitte, wir wollen niemandes Weltbild erschüttern. Da genügen dann mittlerweile langzeitetablierte sichere Bänke wie verschwiegene Homosexualität, präsentiert im Rahmen eines Slapstick-Outings an Selbstbestimmungsbotschaft. Unterhaltungsgaranten sind trotzdem drei urgesteinerne Darsteller, aus deren Darbietungen das Vertrauen zueinander, die teils über Dekaden gewachsene Nähe im gemeinsamen Job sprechen. Zudem: Wer hätte je nachgewiesen, daß Standard gleichbedeutend für Berührungsfreiheit steht?

Genau hier absolviert nicht nur die manchmal schönste Traurigkeit eintröpfelnde Musik ihre hinreißendsten Auftritte, sondern fährt auch Calbérac schwere Geschütze auf. Zeigt Meisterschaft in der größten aller Künste, namentlich Empathie. Erschafft allein schon mit der Annäherung beim Nachtschwimmen einen Moment, dessen magische Zärtlichkeit etwas unangreifbar Ewiges birgt.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...

Liebesbriefe aus Nizza ab heute im Kino in Leipzig