„Der Pelikan“ heißt ein Kammerspiel August Strindbergs. Eines dieser Stücke, die wie Salzsäure fürs Gemüt sind. Worum es geht, mag jetzt jeder selbst recherchieren; alle, die sich jedenfalls literarisch gern mal seelischen Ätz-Stoff verabreichen, werden daran Geschmack finden. Hier ist jetzt aber etwas anderes wichtig: In Jules Herrmanns Langfilmdebüt LIEBMANN nämlich gibt es immer wieder kleine, seltsame szenische Interventionen, die im Plot, in der „eigentlichen“ Handlung wirken wie Einschlüsse im Bernstein.
Titelheld Antek Liebmann ist ein Lehrer, der sich in die ländliche Einsamkeit Nordfrankreichs verkrochen hat. Ein Verschlossener. Einer, der sich nachts schlaflos im Bett wälzt. Der den Freundlichkeiten der hübschen Nachbarin mit Distanz begegnet und sich dennoch um deren kleine Tochter kümmert. Der eine Affäre mit dem jungen Sebastien anfängt und den doch wieder von sich stößt. Der im nahegelegenen Wald spaziert, obwohl doch dort, gleich einem bösen Märchenwesen, ein menschenmordender Jäger umgeht.
Eine Handlung wie bernsteinhaft funkelnde Oberfläche. Auf der rauscht Sommerwind in den Bäumen, und schlummern idyllische Dorfgassen in der Dämmerung. Oder jobbt Antek bald in einem Antiquitätenrumpellager, was dann, in Atmosphäre und Setting, der Vervollkommnung eines Filmgrußes an Jacques Rivette gleichkommt. Doch sind da eben auch noch diese Einschlüsse. Farb- und Formabstraktionen, erzählerische Perspektivwechsel – und jene Szene, die einen Dialog aus „Der Pelikan“ aufbereitet: „Weißt Du, was der größte Schmerz ist? Die Nichtigkeit des höchsten Glücks zu erkennen!“ ist darin der Satz, der, in aller Ruhe gesprochen, auf die Pein verweist, die gleichsam in Antek eingeschlossen wütet. Und die ihrerseits auf das tatsächlich Eigentliche dieses Films zielt, der still, klug und sparsam mit inhaltlichen Versatzstücken und Erzählnormen arbeitet, ob derer sich dann etwa auch im ersten Akt ein Gewehr exponiert, das im letzten so ganz anders losgeht, als man sich denkt.
LIEBMANN ist ein Film über Katharsis und Heilung. Beides hat, wie sich zeigen wird, der Titelheld verdammt nötig. Und der findet dafür den Ort und ein Ritual – und der Film damit eine finale Szenenfolge, in der ein Einsamer im einsamen Spiel das Ungeheuerliche exorziert. Und sich darin wieder fähig zum Glück macht. Trotz und wider aller Nichtigkeit.
D 2016, 82 min
FSK 6
Verleih: Missing Films
Genre: Drama
Darsteller: Godehard Giese, Fabien Ara, Adeline Moreau
Regie: Jules Herrmann
Kinostart: 02.02.17
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.