Originaltitel: LITTLE JOE
GB/D/Österreich 2019, 105 min
FSK 12
Verleih: X Verleih
Genre: Horror, Mystery, Thriller
Darsteller: Emily Beecham, Ben Whishaw, Kerry Fox, Kit Connor
Regie: Jessica Hausner
Kinostart: 09.01.20
Auf den ersten Blick ist LITTLE JOE ein Science-Fiction-Thriller, angesiedelt in der Gegenwart, formal streng und kühl inszeniert. Doch die Farbpalette des Films, eine im wahrsten Sinne des Wortes, ist so viel größer als das.
Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner arbeitet in ihrem ersten englischsprachigen Film mit kaum sichtbaren Realitäts- und Wahrnehmungsverschiebungen, wenn sie vom Spannungsfeld zwischen der ehrgeizigen Wissenschaftlerin Emmy, ihrem Sohn Joe und einer wundervoll roten Pflanze „Little Joe“ erzählt. Joe und „Little Joe“ sind beide Emmys Geschöpfe. Die Pflanze, die sie in einem Elite-Institut züchtet und marktfähig macht, beglückt durch ihren Geruch. Erst langsam! Und nachdem sie bereits einen Prototyp mit nach Hause gebracht hat, beginnt Emmy Verdacht zu hegen, daß dieses Glück einen Preis hat und sich Menschen um sie herum auf kaum faßbare Weise verändern.
Hausner verwendet alle Spannungselemente des Genres, ohne den Horror als Bild sichtbar zu machen. Es gibt hier keine Mutanten oder Zombies, keine Frankensteine, keine satanischen Messen und keine fleischfressenden Pflanzen. Die Bedrohung, eine schleichende Persönlichkeitsveränderung, liegt allein im Auge des Betrachters. Und immer schwingt der Zweifel mit: Warum noch kämpfen, warum sich nicht einfach diesem kalten Glück hingeben, das die Menschen, einen nach dem anderen, erfaßt?
Natürlich rekurriert das auf den Komplex der Genmanipulation. Die Folgen von Wissenschaft erahnen wir öfter, als daß wir sie wirklich zu fassen kriegen. Doch es stellt auch die philosophische Frage nach der Beschaffenheit von Glück. Wer will, kann den Film aber auch auf der psychologischen Ebene lesen, als den Gewissenskonflikt einer alleinerziehenden Mutter, die ihre Arbeit ebenso liebt wie ihr Kind – oder mehr.
Mit der Heldin befinden sich die Zuschauer in einer permanenten Ambivalenz gegenüber allem, was sie zu sehen bekommen. Langsame Kameraschwenks blenden mit Vorliebe das Wesentliche aus. Die künstlichen, symmetrischen Strukturen des Gewächshauses kontrastieren mit den Farbexplosionen der Blumen, die Unnahbarkeit der Wissenschaftlerin mit den erlesenen Farben ihres Kostüms. Sie selbst wirkt wie eine gezüchtete Pflanze, während ein sehr ungewöhnliches Sounddesign mit japanischen Flöten und abstraktem Hundegebell das Gefühl von Bedrohung und zugleich von Entfremdung aufrechterhält. Ein Film, der glücklich macht? Durchaus.
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...