Vorneweg: Es wird nicht getanzt in diesem Film. Und wenn gesungen wird, dann auch nicht mit schmachtenden Blicken von unerfüllter Liebe. Stattdessen begleitet ein Volkslied über leere Taschen und volle Herzen in der Anfangssequenz zwei Brüder auf ihrem Weg aus der Stadt zurück in ihr Dorf. Keine spiegelglänzenden Paläste, in denen Hundertschaften aufgehübschter Tänzer perfekte Choreographien vorführen. Nein, hier steht das echte Indien im Fokus. Das Indien der armen Leute.
Solche wie die Brüder Natha und Budhia, die einen Kredit nicht zurückzahlen können, und deren Land nun verpfändet werden soll. Ein letzter verzweifelter Bittstellungsbesuch beim örtlichen Regierungsvertreter wird abgewiesen. Die gut gekleidete und gut versorgte Meute reicher Politiker treibt sogar noch ihre Scherze mit den Beiden. Was also tun? Es steht viel auf dem Spiel. Nathas Frau und Kinder und die kranke Mutter der Brüder brauchen ein Zuhause und müssen verpflegt werden. Da erfahren sie beim gemütlichen Marihuanarauchen mit Freunden, daß ein Regierungsprogramm den Hinterbliebenen von Selbstmordopfern eine hohe Abfindung zahlt. Und schon stecken wir mittendrin in der bitterbösen Satire. Denn tatsächlich handeln die Brüder miteinander aus, welcher von ihnen sich dem Wohl der Familie opfert.
Natürlich trifft es den sympathisch vertrottelten Natha, der wie eine moderne Version Chaplins durch die indische Realität stapft. Stumm und liebenswert wird die Figur von Omkar Das Manikpuri verkörpert, wie die meisten Darsteller im Ensemble ein Theaterschauspieler vom Land. Aber das alles war nur Vorspiel für den Irrsinn, der jetzt auf das Dorf zurollt. Denn die Nachricht vom geplanten Selbstmord ist inzwischen bei den Fernsehsendern der Hauptstadt angekommen, und die wittern eine große Story. Die Reporter stürzen sich auf alles und jeden, um die beste Nachricht zu haben. Und wenn sich nichts Neues mehr findet, dann erfindet man eben was.
Als ehemalige Journalistin weiß Anusha Rizvi, wovon sie in ihrem Spielfilmdebüt erzählt. Produziert vom Schauspielstar Aamir Khan, klagt sie in ihrer Satire Medien und Politik an. Das ist alles gut durchdacht, abwechslungsreich gefilmt und sicher inszeniert – und doch kommt die Geschichte nicht so richtig in Fahrt. Die lustigen Momente sind erkennbar, aber nicht ansteckend. Und die Kritik verliert sich in der zuweilen etwas zu lang und zu langsam geratenen Erzählung.
Originaltitel: PEEPLI LIVE
Indien 2009, 104 min
Verleih: REM
Genre: Satire, Tragikomödie
Darsteller: Omkar Das Manikpuri, Raghubir Yadav
Stab:
Regie: Anusha Rizvi
Drehbuch: Anusha Rizvi
Kinostart: 25.11.10
[ Marcel Ahrenholz ] Marcel mag Filme, die sich nicht blind an Regeln halten und mit Leidenschaft zum Medium hergestellt werden. Zu seinen großen Helden zählen deshalb vor allem Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij, Michelangelo Antonioni, Claude Sautet, Krzysztof Kieslowski, Alain Resnais. Aber auch Bela Tarr, Theo Angelopoulos, Darren Aronofsky, Francois Ozon, Jim Jarmusch, Christopher Nolan, Jonathan Glazer, Jane Campion, Gus van Sant und A.G. Innaritu. Und, er findet Chaplin genauso gut wie Keaton ...