Originaltitel: LOLA
Irland/GB 2022, 79 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen
Genre: Fantasy, Drama, Historie
Darsteller: Stefanie Martini, Emma Appleton, Rory Fleck Byrne, Hugh O'Conor, Ayvianna Snow
Regie: Andrew Legge
Kinostart: 28.12.23
Um das mal anzumerken: Found Footage als Erzählmethode ist nerviger Schnickschnack. Und ja, das gilt auch für die Kult-Urmutter BLAIR WITCH PROJECT. Jenes Ankratzen der vierten Wand, der Trennungen zum Zerbrechen unterhöhlen wollende, faktisch aber bloß unentschlossene Doku-Fiktion-Mix funktioniert einfach kaum – umso erbaulicher, endlich einen Gegenbeweis zu erleben.
Zwei konträre Londoner Schwestern anno 1941 filmen einander oder werden gefilmt: Eine burschikos-forsche namens Thom, während Mars ihre verträumte Gefühlsneigung auszeichnet. Gleichsam knapp und knackig umrissene Figuren, denen man folgen kann – und möchte. Im Hirn der väterlicherseits wissenschaftlich vorgeprägten Ladies grellt unversehens ein Geistesblitz: Radiowellen aus der Vergangenheit sind konservierbar, wieso ergo nicht andersrum in die Zukunft lauschen?! Gedacht, gesagt, einen dazu taugenden Apparat namens Lola konstruiert. Zunächst geht’s nur um Wetteinnahmen oder kulturelle Aussichten auf beispielsweise David Bowie. Hernach fangen Mars und Thom weltkriegsrelevante Infos ab, retten durch deren Verbreitung Menschen – bald zeigt das Militär Interesse.
Trotzdem eine spezielle Bildästhetik vom ersten Moment an fasziniert, hieße es zu kurz rezensiert, LOLA darauf zu beschränken, vergäße famose Darstellerinnen, außerdem unverhofft aufblinkenden Humor oder im Detail versteckte Grenzerweichungen. Darunter Geschlechterrollen tauschende Pinkelpausen. Musikalische Akzente, die aus dem akustischen Hintergrund treten, visualisiert Vordergründe besetzen. Bei entsprechender Neigung die Überlegung, ob wir wohl einer komplett inszenierten Was-wäre-gewesen-wenn-Geschichte zuschauen oder vielleicht hier und dort unbemerkt Archivmaterial historische Authentizität verleiht.
Es fließt und mäandert allerorts, inhaltlich betreffen die Vorausblicke und resultierenden Änderungen moralische Fragen, Entscheidungen, Kollateralschäden von unbekannten Künstlerlegenden (u.a. Nina Simones Melancholie wird nie verzaubern, stattdessen preist ein Charterfolg das Marschieren im Stechschritt) bis zur zivilen Katastrophe. LOLA schüttet dabei ein Füllhorn berückender Ideen aus, läßt eine komplexe Spirale großer Kunst hypnotisieren – und wirkt finale Gänsehaut. Weil dann zugleich Vergangenes, Gegenwärtiges, Zukünftiges, schlicht ewig Überdauerndes im Fokus steht. Liebe nämlich.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...