Er kann auch anders: Regisseur Brillante Mendoza, dessen extremes Drama KINATAY diesen Monat die Zuschauerlager spalten dürfte, hat mit LOLA ein Werk der Stille gedreht – und erschüttert trotzdem nicht weniger. „Lola“ bedeutet in Tagalog „Großmutter“, und eine solche namens Lola Sepa kämpft sich gleich zu Beginn durch das allgegenwärtige Unwetter. Sie ist auf dem Weg zu jener Stelle, an der gestern ihr Enkel Arnold ermordet wurde, um dort eine Kerze zu entzünden.
Zeit zum Trauern bleibt Lola Sepa so gut wie keine, ein winziger Augenblick, ein paar Tränen beim Anblick des im Hinterhof aufgebahrt liegenden Toten müssen genügen, denn schließlich gilt es, die Bestattung zu organisieren. Nahezu unmöglich für eine arme alte Frau aus der Unterschicht, und so muß Lola Sepa auf Betteltour gehen. Vielleicht können ja die Nachbarn ein paar Pesos erübrigen?
Parallel dazu besucht Lola Puring ihren Enkel Mateo im Gefängnis, bringt ihm Essen, schält liebevoll eine Mango. Mateo ist des Mordes an Arnold angeklagt, Lola Puring, gleichfalls in Armut lebend, kann die Kaution nicht stellen, auch sie muß Spenden erflehen, Haushaltsgegenstände verpfänden oder sogar Gaunereien ersinnen, um an Geld zu gelangen, denn ohne Mateos Einkommen wäre seine Familie dem Untergang geweiht. Und die Situation eskaliert zusätzlich, als sich beide Großmütter begegnen ...
Mendoza gibt dabei keine „richtige“ Seite vor, er verurteilt nicht oder schickt Lola Sepa auf Rachefeldzug. Vielmehr porträtiert er nahezu dokumentarisch eine menschenverachtende Welt, welche lächelnd ihr Beileid bekundet und im nächsten Moment über ausstehende Schulden schwafelt, so gleichzeitig die Güte und Sorge der zwei Lolas mit Füßen tritt, für Gefühle keinen Raum, sondern allein finanzielle Werte zählen läßt. Das kommt fast gänzlich ohne Musik als üblichen Stimmungsmacher aus und setzt nur behutsame Schnitte. Mendoza hetzt seine wunderbaren Darstellerinnen nicht – wenn sechs Streichhölzer zum Entzünden der besagten Kerze nötig sind, wird eben die komplette Szene gezeigt. Umso realistischer gerät die Inszenierung, der bleibende Eindruck vertieft sich.
Am Ende gibt Mendozas Studie die erschreckende Antwort, welchen monetären Wert ein Menschenleben besitzt, während beide Lolas gegen jeden Widerstand stark geblieben sind. Aber die Frage lautet: Wie hoch war der Preis, den sie dafür zahlten?
Originaltitel: LOLA
F/Philippinen 2009, 110 min
FSK 0
Verleih: REM
Genre: Drama
Darsteller: Anita Linda, Rustica Carpio, Tanya Gomez, Jhong Hilario
Regie: Brillante Mendoza
Kinostart: 29.07.10
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...