Originaltitel: LONGLEGS

USA 2024, 102 min
FSK 16
Verleih: DCM

Genre: Horror

Darsteller: Maika Monroe, Nicolas Cage, Alicia Witt

Regie: Oz Perkins

Kinostart: 08.08.24

6 Bewertungen

Longlegs

Sehen durch Teufelsaugen

Es kann einem mulmig werden bei diesem Auftakt. Autor und Regisseur Oz Perkins, bislang wohl eher Horror-Aficionados ein Begriff, läßt in Schnee und Eis pure Kindheitsängste hervorkriechen. Eigentlich genügt schon die erste Einstellung, der Blick durch die Windschutzscheibe ei-nes Autos, das sich einem einsamen Haus nähert, um das unterschwellige, suggestive Grauen zu beschwören, welches sich über die Laufzeit selten wieder abschütteln läßt. Irgendetwas sitzt dort auf dem Beifahrersitz. Das Mädchen im Haus erblickt jenes Auto von ihrem Kinderzimmer aus. Also geht es nach draußen, in die Stille des Winters. Keine Eltern, keine Menschen weit und breit, bis – „Kuckuck!“ – eine fahle Gestalt hinter der Hausfassade hervorlugt.

Was wurde nicht für ein Gewese um dieses Monstrum und diesen Film gemacht! LONGLEGS kommt mit einem solchen Hype daher, mit verstörenden Teasern, Plakaten, interaktiven Rätseln und Schreckensberichten, daß man Perkins’ neues Werk als PR-Geniestreich bezeichnen muß. Auch er stand dabei im Fokus: Nicolas Cage, der den titelgebenden Serienmörder Longlegs spielt und den man mit seiner grotesken Schminke als so furchterregend und auratisch verkaufen wollte, daß man sein Antlitz lieber geheim hielt.

Zaghaft gibt der Film nun den Blick auf ihn frei: zunächst, wie beschrieben, unheilvoll im Hintergrund oder als abgeschnittenes Körperfragment. Später dann wird der ganze Cage-Wahnsinn entfesselt: hampelmännische Gesten, brüllende Ausraster und kindlicher Singsang. Horror und Komik sind in Cages Performance nicht zu trennen. Sie bildet einen mutig skurrilen Fremdkörper in diesem sonst so todernsten Gruselkrimi, der düster dräut und terrorisiert, ehe seine nihilistischen Schockbilder, Atmosphären und kryptischen Andeutungen im selbstentzauberten Teufelsspuk implodieren. Maika Monroe mimt dabei die junge FBI-Agentin, die sich auf des Killers Fährte begibt.

Eine beflissene, aber wenig originelle Genre-Übung ist das, wenn LONGLEGS allerlei Klischees von okkulten Buchstaben- und Zahlenrätseln über die traumatisierte Ermittlerin bis zum Horror in der eigenen Familie abgrast. Zumal das ganze Mysterium spätestens nach der doppelt und dreifach erklärten Auflösung wenig Anlaß zum Weiterdenken gibt. Unter seinen Anklängen einer Religionskritik verbirgt sich eher ein weitgehend unironisches Revival alter, untoter Satanic Panic, nicht nur in den USA.

Wobei das zugleich natürlich die effektivsten Momente ergibt, um die Angstlust im Kino so richtig schön genießen zu können, zumindest beim ersten, unwissenden Sehen: Wenn LONGLEGS selbst eine satanistisch rituelle Form annimmt, der Leibhaftige beiläufig durch weite Aufnahmen geistert oder die Kamera zum dämonischen Okular verkommt. Frech, wie schnell sich das Böse im Bewußtsein einnistet.

[ Janick Nolting ]