Es paßt zum debil feixenden Zynismus unserer Zeit, daß die Wärme, welche die Filme Ken Loachs auszeichnen, schnell als Gutmenschelei abgewatscht wird, daß man Loach selbst – auch unter Kollegen der schreibenden Zunft – als Menschenversteher tituliert, was zwar unter dem Vergrößerungsglas besserer Absichten wie ein Lob klingen soll, letztendlich aber reichlich despektierlich daher kommt, weil es den Ausnahmefilmer Loach – eben in dieser auf Tempohalten, Beutemachen und Vorbeischwindeln fixierten Zeit – doch ein wenig wie den Deppen vom Dienst dastehen läßt. Dieser Trottel, schert er sich doch tatsächlich noch um das Humane ...
Doch gerade weil Loach ist, wie er ist, weil er erzählt, wie er erzählt, und weil er – obgleich nichts beschönigend – an das Gute, ja, wenn man so will, an echte Werte noch glaubt, weil er sich für ganz normale Menschen interessiert, muß man Respekt zollen. Loachs Geschichten sind weit entfernt von jener so satten und bis zum Erbrechen abgefilmten Welt austauschbarer Hochglanzschicksale in den ach so hippen Agenturen, Kanzleien und Designerstuben, in denen dann all die bis zur Unkenntlichkeit gestrafften Bullocks, Kidmans und Ryans auf so etwas Ordinäres wie Erlösung warten ... Nein, das freilich ist nicht die Welt Ken Loachs. Und das ist gut so. Loach ist – das darf man auch ein wenig feierlich sagen – einer der wenigen Individualisten im Filmgeschäft. Eine ehrliche Haut sowieso. Und da fühlt es sich gut an, und daraus ist Hoffnung zu schöpfen, wenn in der Scheinwelt Cannes’ ein Publikum von den Stühlen springt, um einen aufrichtigen Film, einen Helden aus Fleisch und Blut, ja, eine ganze Haltung zu bejubeln. So geschehen im letzten Mai.
Eric Bishop ist grau geworden, nicht nur auf der Seele und um den Bart, sein ganzes Leben ist grauverschleiert wie die Gardinen in der einfachen Bude, die einem Chaos gleicht: Hier quält sich der Postangestellte mit zwei Halbwüchsigen, die ihm seine Ex Chrissi zurückgelassen hat, durch den Alltag. Kaum etwas macht dem hageren Typen noch Freude. Wie auch? Bereut er doch seit Jahr und Tag, in seiner Jugend den wohl größten Fehler begangen zu haben. Als seine Frau schwanger war, verließ er sie. Zur gemeinsamen Tochter hat er Kontakt, zu seiner Jugendliebe nicht. Lily Divine heißt die aufreizende Blondine – Frauen solchen Namens läßt man nicht einfach so stehen. Das Grau der Wolke, die schwer über Erics Kummerexistenz schwebt, wird immer dunkler, er sieht keinen Ausweg und versucht, mit seinem Auto in eine leichtere Welt zu krachen. Dieser Knall löst eine neuerliche Zuwendung seiner Freunde und Kollegen aus, sie beschaffen ihm allerhand Lebensratgeber, sitzen in der Gruppe zusammen und basteln sich Traumidentitäten, die von überirdischen Existenzen wie Gandhi, Nelson Mandela reichen bis hin zu Sammy Davis, Jr.! Eric aber bekennt sich zu seinem größten Idol: Eric Cantona, legendärer Fußballstar bei Manchester United. Und eines Tages, als Eric sich mal einen gutgestopften Joint gönnt, passiert etwas Magisches. Dem Poster an der Wand entsteigt Eric Cantona und fragt mit einem butterweichen französischen Akzent: „Wann waren Sie das letzte Mal glücklich?“
Dieser märchenhafte Trick genügt Ken Loach, um eine Geschichte vom Wiederaufrichten, von neuer Hoffnung, vom sich behutsam wieder einstellenden Glück zu erzählen. Nicht auf geradem Wege wohlgemerkt, das wäre dann zu plüschig und einem Loach kaum entsprechend. Cantona empfiehlt seinem Namensvetter die Kontaktaufnahme zu Lily, vorher noch eine ordentliche Rasur, und schon steht der schmale Ritter vor seiner großen Liebe. Und schon vermasselt der Trottel es wieder, in dem er die noch immer hübsche Frau mit Chrissi anspricht ...
Loach spult zurück, und wir sehen, wie leidenschaftlich Eric einmal war, wie begnadet er tanzen konnte mit seinem göttlichen Mädchen, wie er für etwas brennen konnte – eben für sein großes Idol Cantona. In diese an sich schon völlig ausreichende Geschichte eines Neuanfangs setzt Loach auch noch den Konflikt mit Erics kleinkriminellen Stiefsöhnen, was letztendlich nicht zu viel, eher eine ganz fabelhafte Idee war, weil dies das Sprungbrett zur vielleicht schönsten und frechsten Szene des Films ist. Der Moment einer absurden Gegenwehr mit ganz vielen Cantonas ... Mehr sollte da nicht verraten, der Film schließlich selbst gesehen werden.
In LOOKING FOR ERIC zeigt sich einmal mehr, daß Loach trotz der Preise in Cannes und auf all den Festivals dieser Welt nicht vergessen hat, wie ganz normale Menschen reden, fühlen, sich plagen und zu neuer Freude aufraffen. Er erinnert mit diesem Film auch an eine Zeit, als Fußball noch der Sport der Arbeiterklasse war, als noch nicht all diese Gucci-Sklaven in Reihe 1 wassereimergroße Kaffeebecher hielten und gequält durch ihre klobigen Sonnenbrillen auf den Rasen und letztendlich doch nur zu den Papparazzi schielten.
Loach erweist sich mit dem märchenhaften Ton dieses durchaus herzrührenden Films auch als Kindskopf. Wie frech er seinen Eric durch die Zahnlücke grinsen läßt, als er in einem schönen Moment eine alte Trompete aus der Tasche zaubert ... Loach ist kein „Menschenversteher“, er ist ein begnadeter Beobachter, einer mit reinem Gewissen, dem es immer wieder gelingt, Geschichten über Vertrauen, Zusammenhalt und Freundschaft zu erzählen. Und das tut er ganz altmodisch. Was zweifellos ein großes Lob ist ...
Originaltitel: LOOKING FOR ERIC
GB/F/I/Spanien/Belgien 2009, 116 min
FSK 12
Verleih: Delphi
Genre: Drama, Liebe, Märchen
Darsteller: Steve Evets, Eric Cantona, Stephanie Bishop
Regie: Ken Loach
Kinostart: 05.11.09
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.