Was genau es ist, das Schauspieler vom gewohnten Platz vor der Kamera auf den ungewohnten dahinter drängen läßt, bedarf der Einzelfallprüfung. Hier im Land wird man per se mißtrauisch beäugt für diesen Schritt, frei nach Barbara Schöneberger: „Jetzt singt sie auch noch!“ Anderswo gründen sich Reaktionen auf Respekt und Anerkennung. Der Kanadier Ryan Gosling also dürfte recht gut aus den Startblöcken gekommen sein. Wann exakt er ins Straucheln kam, ob schon während der Arbeit oder erst mit dem fertigen LOST RIVER, der gnadenlos im Skat verschwinden könnte, ist offen. Goslings Regiedebüt steckt voller Ambition. Sie quillt förmlich aus jeder Pore. Der Drang ist überdeutlich spürbar, möglichst viel Gesehenes und Erfahrenes, Bewundertes und Beknietes in einen ersten eigenen Film zu packen, den der Schauspieler auf dem Weg in seine Mittdreißiger-Lebensjahre zum Stellungswechsel getrieben hat. Dem schlichten Rezipienten aber erscheinen einige von Goslings Motiven und Collagen eher wie geklaut. Bei Cassavetes in der Nüchternheit, bei Lynch im Surrealen.
Die Stadt liegt wie Blei auf dem Gemüt der Jungen und Alten. Brüder ziehen durch Abrißhäuser und stillgelegte Fabriken, duellieren sich mit obskuren Kontrahenten, Mütter betteln um die Verlängerung ihrer Hauskredite, bekommen diffuse Angebote für Zweitjobs. Derweil sitzt Oma daheim, hat dem Sprechen entsagt und sieht in Dauerschleife alte Hochzeitsfilme, während die Enkelin in einer Ratte die einzige Freundin weiß. Selbst der Fluß ist verloren hier: Bizarr ragen die Peitschenlampen aus ihm, der längst ein See ist, heraus.
Schlecht sind die Kinobilder nicht, auch nicht die Schauspieler und Montagen von LOST RIVER. Der Film findet einfach kein erzählerisches Rückgrat, mäandert in zu vielen Ebenen herum, verhebt sich am Wust der Allegorien und Metaphern über mobile Krisen, geopferte Städte, marodierende Gangs, Ersatzbefriedigungen von Reichen in elitären Clubs, während die neuen Armen mühsam die Reste einer Familienstruktur vor der Implosion zu schützen versuchen.
Fahrräder brennen, Saurierköpfe harren des Tauchgangs, Zärtlichkeiten sind wie Kerzen im Diffusen. Tageslicht jedenfalls war nie schöner beim Gang aus dem Kinosaal. Und ausgerechnet Jim Jarmuschs Vampirfilm ONLY LOVERS LEFT ALIVE erzählt viel bleibender vom gehenden Detroit, das auch LOST RIVER meint. Nur nicht trifft.
Originaltitel: LOST RIVER
USA 2014, 95 min
FSK 16
Verleih: Tiberius
Genre: Experimentalfilm, Drama, Poesie
Darsteller: Christina Hendricks, Saoirse Ronan, Eva Mendes, Iain De Caestecker, Matt Smith
Regie: Ryan Gosling
Kinostart: 28.05.15
[ Andreas Körner ]