Noch keine Bewertung

Lotte

Egal, was Du denkst

Lotte sitzt rauchend vor dem Krankenhaus, in dem sie arbeitet. Die Krankenschwester ist, wie ein Kollege genervt kritisiert, mal wieder zu spät. Gleich von Anfang ist klar, daß die junge Frau ihren Mitmenschen eine Menge zumutet. Sie pöbelt, trinkt, läßt sich von niemandem etwas vorschreiben und benimmt sich eigentlich so, wie man es sonst eher von Männern erwartet.

Es ist eine interessante Frauengestalt, die der junge Regisseur Julius Schultheiß da entwirft. Als ihr Freund sie aus der Wohnung schmeißt, trudelt Lotte durch Berlin, legt sich völlig fertig in Krankenhausbetten, um am Ende auf einer einfachen Schaumgummimatratze zu landen. Und es scheint so, als würde ihr das alles gar nichts ausmachen. Fast aggressiv begegnet sie ihren Mitmenschen, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Bis sie auf die jugendliche Patientin Greta trifft. Plötzlich schwappt ihr die Vergangenheit ungefragt entgegen, und ihre Mir-ist-egal-was-Du-denkst-Haltung trifft auf Widerstand. Auf einmal soll sie Verantwortung übernehmen und Geborgenheit geben, die sie selbst wahrscheinlich nie erfahren hat.

Langsam und nur schemenhaft entblättert der Regisseur die tragische Seite der Lotte-Figur. Man erfährt kaum etwas, nur, daß die Mutter keine war, zu der sie eine Beziehung haben will. Dann wirkt sie plötzlich verloren in der Welt und einsam, wenn sie mit Greta auf dem Diskoklo kokst oder mit ihr um die Wette einen Bierkasten leert und verliert. Schultheiß zeichnet hier auch feinsinnig die Kehrseite des jugendlichen Freiheitsdrangs nach. Denn dazu passen angeblich keine engen Beziehungen, Verbindlichkeit oder echte Gefühle.

LOTTE feierte auf der Berlinale Premiere und wurde schon vor Kinostart viel gelobt. Das liegt auch an der authentischen Darstellung von Karin Hanczewski. Sie läßt sich so auf die Rolle ein, daß es fast weh tut, mit anzusehen, wie sie um sich herum eine Fassade aufbaut, und was das mit ihren Mitmenschen macht. Die Kamera bleibt dabei ganz nah an ihr und ihrem radikal ausgelebten Ego dran. Zudem faßt sich der Regisseur in den rund 80 Minuten kurz und zoomt sich quasi für einen Moment in ein Leben, das gleichzeitig unserer hedonistisch geprägten Zeit den Spiegel vorhält. Denn Lotte merkt erst kurz bevor ihr das neu gewonnene Glück aus den Händen zu gleiten droht, daß es schöner ist, für andere einzustehen, als immer nur allein durchs Leben zu düsen.

D 2016, 78 min
FSK 16
Verleih: Daredo

Genre: Drama

Darsteller: Karin Hanczewski, Zita Aretz

Regie: Julius Schultheiß

Kinostart: 27.10.16

[ Claudia Euen ]