Ein Großteil der Filme von Oskar Roehler versetzt einen in den Zustand einer ermüdenden Zeugenschaft. SUCK MY DICK, AGNES UND SEINE BRÜDER oder die scheintote Literaturadaption ELEMENTARTEILCHEN etwa sind eben auch Dokumente dafür, welch Mühsal es ist, ein Enfant terrible sein zu müssen. Filme, als Inszenierungen einer Provozierwut, die die ehrgeizige Arbeit verrichten soll, ein „Unbehagen an der Gesellschaft“ als schillernde Kreation schriller Exaltiertheit zu artikulieren. Da ist Roehler-Kino dann immer auch eine Freudianische Ramschkiste voller Kastrationsangst, Hysterie und Konservatismus als pathologischer Mentalitätszustand. Das alles freilich poltert nun auch in LULU & JIMI. Und trotzdem hat der Film Klasse.
Deutschland in den seligen 50ern. Eine Welt des rosaroten Vergessens. Unter deren Fassade lauern freilich nach wie vor dunkle Abgründe. In diese taumeln Lulu und Jimi. Sie, eine Fabrikantentochter. Er, ein Ami, ein mittelloser Schwarzer, der sich auf dem Rummelplatz der Kleinstadt verdingt. Beide verlieben sich. Groß und rein, auf Leben und Tod. Letzterer vor allem droht Jimi. Die skandalöse Liebe nachhaltig zu unterbinden, setzt Lulus eiskalt-irre Mutter (großartig: Katrin Saß) das Töchterchen erst unter Drogen, um nach der Flucht in letzter Sekunde beiden Turteltäubchen skrupellose Finsterlinge auf den Hals zu hetzen.
Liebe ist Kitsch, ergo ist Kitsch Utopie, stärker als der Tod. Oder so ähnlich. Wie auch immer – Roehlers LULU & JIMI ist ein Kinobastard aus viel David Lynch (dem der Film zugeeignet ist), ein wenig Jean-Jacques Beneix (DER MOND IN DER GOSSE) und einer guten Prise jener grandiosen Morbidität, mit der einst Robert Aldrich seine Leinwanddiven Bette Davis und Joan Crawford (WAS GESCHAH WIRKLICH MIT BABY JANE?) in gespenstische Szene setzte.
Sicher, die Vielfach-Spiegelungen, die Komplexität der Originale erreicht Roehler nicht. Und wenn schon! Verflacht sonst das US-Remake welch Original auch immer, leistet Roehler sich hier – rotzfrech und respektvoll in einem – einfach mal die Umkehrung dieser Tradition. Er bricht gewissermaßen Lynch herab aufs Roehler-Level. Was boshafter klingt, als es gemeint ist. Denn was in diesem Fall herauskam, ist coole, kurzweilige Kinokost.
D 2008, 94 min
FSK 12
Verleih: X Verleih
Genre: Drama, Liebe, Schräg
Darsteller: Jennifer Decker, Ray Fearon, Katrin Saß, Udo Kier, Ulrich Thomsen, Rolf Zacher, Bastian Pastewka, Hans-Michael Rehberg
Regie: Oskar Roehler
Kinostart: 22.01.09
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.