Noch keine Bewertung

Lunar Eclipse

Von Doppelgängerinnen und visionären Regisseuren

Ob es eine gute Entscheidung ist, mag man bezweifeln. Auf jeden Fall möchte Ya Nan, die junge Frau mit Herzfehler, welche ihre Umwelt vorzugsweise durch das Auge eines Camcorders betrachtet, bald den um einiges älteren Schuhfetischisten Guohao heiraten. Während eines Ausfluges lichtet ein mysteriöser Mann das Paar ab und eröffnet Ya Nan, seine ehemalige Freundin gleiche ihr aufs Haar.

Ya Nan ist – zunächst widerwillig – interessiert und möchte mehr wissen. Der Fremde namens Xiaobin erinnert sich an die Nacht, welche ihm Jia Niang bescherte – Perlen im Haar, trendy Lackjäckchen um die schmalen Schultern, wollte eine Karriere im Showbusiness starten. Das Girlie mit Star-Ambitionen und der verhinderte Meisterfotograf begannen tapsig eine Beziehung ohne Zukunft, vorprogrammierte Katastrophe inklusive. Ya Nan lauscht gespannt dieser Geschichte und kommt durch sie ihrer Quasi-Zwillingsschwester stetig näher ...

Wang Quan’an erzählt nicht mittels stringenter Handlung, reiht vielmehr schlaglichtartig Situationen aneinander, streift hier beiläufig Tragisches (so erfährt man aus einem einzigen kurzen Satz, daß Jia Niang psychisch krank war), frönt dort seiner Ader fürs Skurrile. Bestes Beispiel: das Ableben von Xiaobins Vater. Er tupft Nebenfiguren ins Bild, um sie wenige Augenblicke später wieder zu löschen, umreißt die Protagonisten nur kurz, verleiht ihnen aber trotzdem individuelle Züge, läßt ungerührt Illusionen an nüchterner Realität scheitern und seziert Beziehungsgeflechte. Immer aus dem Blickwinkel abwartender, kühler Distanz. Knapper Gestus umrahmt ungekünstelt-alltägliche Dialoge, tiefe Griffe in die Musik-Kiste fördern angefangen bei Country über Klassik bis hin zu ethnischen Klängen fast jede bekannte Stilrichtung zu Tage, visuelle Spielereien bestehen neben grober Video-Ästhetik.

Wenn dann am Ende wie selbstverständlich Identitäten verschwimmen und sich Zeitebenen auflösen, scheint ganz logisch das Ziel einer sperrigen, mutigen, vor allem jedoch faszinierenden Reise erreicht.

Originaltitel: YUE SHI

China 2000, 94 min
Verleih: Kinemathek

Genre: Drama

Darsteller: Yu Nan, Wu Chao, Hu Xiaoguang

Stab:
Regie: Wang Quan’an
Drehbuch: Wang Quan’an

Kinostart: 21.11.02

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...