Warum in die Ferne schweifen? Weil dort zutage tritt, was die Vertrautheit sonst verdeckt. Dabei schweift Regisseur Karmakar gar nicht so weit, wie der Titel vermuten läßt, denn sein Manila beschränkt sich auf einen eher nüchtern-neutralen Handlungsort.
Auf dem Flughafen der philippinischen Hauptstadt warten die Passagiere auf den Start ihres Fliegers nach Deutschland, der sich immer wieder verschiebt. Eine illustre Gesellschaft hat sich hier notgedrungen auf eine lange Nacht eingerichtet: Sextouristen, Bildungsreisende, Extrem-Urlauber und schrullige Globetrotter.
Zwar fließen die Getränke an der Flughafenbar kostenlos und unbeschränkt, können das enervierte Völkchen aber nicht unbegrenzt bei Laune halten. Und plötzlich sitzt man Bier an Bier mit Leuten, denen man anderswo lieber ausgewichen wäre. Der großkotzige Clubbesitzer Walter findet in Ex-Lehrer Knut, den die vulgäre Art des neuen Bekannten zunächst abstößt, einen geduldigen Zuhörer für seine Ansichten über das Leben und alles andere. Auf der Flughafentoilette hat sich der Schwabe Franz häuslich niedergelassen und belagert die einheimische Klofrau ungefragt mit intimen Urlaubsphotos. Herbert hat auf dem stillen Örtchen den besten Sex seines Lebens - haltlos, hart, schmutzig und mit sich selbst. Paare finden und trennen sich. Ordinäres Gesülze wechselt mit entwaffnend ehrlichen Intimbekenntnissen.
Karmakar schickt seine Versuchstiere in ein relativ geräumiges Labor. Aber die ausweglose Enge ist atmosphärisch so überzeugend konstruiert, daß sie die Welt hinter den Terminals für Stunden völlig vergessen. Und das gibt den durchweg großartigen und teilweise angenehm gegen den Strich besetzten Darstellern die einmalige Gelegenheit, eine Art postmodernes Sodom und Gomorrha aufzuführen. Gut, daß Karmakar sie an ihre Grenzen und darüber hinaus führt. Gut, daß einem unbehaglich wird im Kinosessel. Aber das Finale ist dann doch zu fett geraten: lang, endlos lang, gnadenlos lang singt die entfesselte Reisegruppe den "Chor der Gefangenen von Manila". Da muß man sich mühen, den wunderbaren Rest des Films nicht aus dem Gedächtnis musiziert zu bekommen.
D 1999, 115 min
Verleih: Senator
Genre: Drama
Darsteller: Jürgen Vogel, Martin Semmelrogge, Manfred Zapatka
Regie: Romuald Karmakar
Kinostart: 06.07.00
[ Sylvia Görke ]