„Fantastic“ ... das ist das Wort der Stunde und beschreibt das ganz große Staunen des von ganz weit angereisten Li am besten. Als Kind von Talentscouts aus der bettelarmen chinesischen Provinz nach Peking delegiert, getrennt von seiner Familie, und nun Anfang der 80er nach jahrelangem, knochenhartem Ballettunterricht darf der zum jungen Mann gereifte Li auf Einladung eines amerikanischen Choreographen an den zum Reich der Mitte wohl gegensätzlichsten Ort reisen – für ein Gastspiel geht es nach Houston, Texas, Vereinigte Staaten von Amerika. Und während in seinem Dorf die Menschen vor Hunger die Käfer von den kargen Bäumen klauben, gibt es hier von allem zu viel: Essen, Kleidung, Hochhäuser. Willkommen in der kraftstrotzenden Welt von Muffins, Malls & Money.
So schwingt natürlich auch Zweifel im staunenden „Fantastic“ mit, doch Li hat den Ballettlehrer Ben Stevenson an seiner Seite, der ihn einkleidet, ihm den American Way Of Life versucht zu erklären, und der ihn auch so ein wenig für die eigene Reputation ausnutzt. Womit – wenn auch vom wahren Leben so geschrieben – Regieveteran Bruce Beresford klug beraten war, Stevenson nicht als Lichtgestalt zu zeichnen. Ihm gehören zweifellos große Sympathien, doch als Li, längst durch das umjubelte Gastspiel zum Star geworden, der Liebe und des Freiheitswillen wegen sich weigert, nach China zurückzureisen, da steht für Ben nicht das Schicksal des Jungen in allerhöchster Priorität, da sorgt er sich mehr um seine eigenen eventuell verbauten Chancen.
Beresford ist ein zauberhaftes Märchen (trotz authentischen Hintergrunds) und, wenn man so will, die Erwachensgeschichte eines kommunistischen Aschenputtels gelungen, ein Film, der sich für die ganz großen Gefühle nicht schämt. Was schwer in Ordnung geht! Denn schließlich steht alles zur Disposition: Leben, Liebe, Familie! Anzurechnen ist Beresford bei der Adaption der Lebenserinnerungen des Ballettstars Li Cunxin auch, daß er knappe, aber durchaus ausreichende Einblicke in das China zur Zeit der Kulturrevolution gibt: Da werden unbeugsame Menschen wie Lis Lehrer Chan mundtot gemacht, da isolieren die Kommunistenherrscher Lis Eltern nach der „Republikflucht“ des Sohnes, da müssen Pioniere über den großen Führer Mao Lieder schmettern, wie er doch alle mit Reichtum beschenkt, nur zur Ernährung seines Volkes langte es dann leider nicht mehr. Das ist in der Tat grob gehalten, aber ausreichend, denn schließlich ist es ein Film über ein außergewöhnliches Leben, über freundschaftliche Bande und keineswegs ein Politdrama.
Beresford gelingt es dabei, kleine rassistische Scharmützel, denen Li ausgesetzt ist in einem nur mäßig toleranten Südstaatenamerika, zum Scherz zu transformieren, was natürlich vor allem durch das nuancenreiche Spiel Bruce Greenwoods zum Tragen kommt. Er sollte ohnehin öfter im Kino und weniger in Direct-To-DVD-B-Movies zu sehen sein. Die Beziehung zwischen ihm als Mentor Stevenson und seinem Eleven Li steht im Zentrum der immer wieder aufwühlenden und tief zu Herzen gehenden Geschichte, da schwingt ein kinoreifes Maß an Liebe, Vertrauen, Verletzbarkeit und Hoffnung mit.
Faszinierend sind auch die zahlreichen ausgespielten Ballettszenen, und so richtig tränenrührend wird es, wenn fast zum Schluß ... Ne, wird nicht verraten, ins Kino gehen!
Originaltitel: MAO’S LAST DANCER
Australien 2009, 121 min
FSK 6
Verleih: Capelight
Genre: Drama, Musik, Poesie
Darsteller: Bruce Greenwood, Chi Cao, Chengwu Guo, Joan Chen, Kyle MacLachlan
Regie: Bruce Beresford
Kinostart: 04.11.10
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.