„Sollen wir es tun?“, fragt Pierre seine Frau Marie. Schon tun sie es! Hand in Hand laufen sie nachts in ihr Labor. Dunkelblau leuchtet das Radium im Reagenzglas. „Wir verblöden doch, wenn wir nicht mehr wie zwei Wilde leben können“, sagt Pierre, und es klingt wie die Anmoderation eines erfüllten Lebens im Dienste der Wissenschaft, durchaus aber auch im Dienste der Liebe. Zwei Kinder haben die Curies bereits. Und ihren ersten Nobelpreis.
Wieder geht das Kino zurück ins frühe 20. Jahrhundert, wird über ein starkes Einzelporträt Zeit-, Sozial- und Kulturgeschichte erzählt. Wieder ist die Besetzung der essentiellen Hauptrolle geglückt. Carla Juri in PAULA, Soko für DIE TÄNZERIN, jetzt Karolina Gruszka als Marie Curie werden im auslaufenden Leinwandjahrgang dafür sorgen, daß er sich noch ein wenig verlängert. Zwischen den letztgenannten Charakteren gab es sogar Berührungen: Loïe Fuller tanzte einst den „Radium Dance“, Marie Curie hatte sie dabei unterstützt.
Eine polnische Darstellerin für die Verkörperung einer gebürtigen Polin zu suchen, ist keine Zwangsläufigkeit. Regisseurin Marie Noëlle fand im Nachbarland zudem noch Drehorte, ihr halbes Team, und sie wagte es, den als Diva bekannten Daniel Olbrychski zu engagieren. Nicht nur damit lag Noëlle richtig. Ihr nie ausuferndes, in Fakten die biographischen Überlieferungen tangierendes Drama kann mit sehr sinnlichen Bildern einnehmen. Die Inszenierung ist hier spielerisch leicht und dort angemessen auf den Punkt gebracht, um einen nächsten weiblichen Freigeist zu feiern.
„Ohne Pierre bin ich nichts“, wird die Curie sagen, nachdem ihr Ehemann früh bei einem Unfall in Paris stirbt. Wir wissen, sie war trotzdem etwas, biß sich durch, forschte weiter am Radium, feierte Erfolge und erntete Respekt, hatte Professuren an Universitäten inne und nahm Albert Einstein für sich ein. Wie bezeichnend ist diese Plansequenz am Strand, als die Teilnehmer einer wissenschaftlichen Konferenz ausschwärmen – alles Zylinder, alles schwarze Mäntel und mittendrin ein Kleid!
Daß die bald zweifache verwitwete Nobelpreisträgerin eine ernste und belegte Affäre mit ihrem verheirateten Kollegen Paul Langevin unterhält, wird man ihr öffentlich schwer vorwerfen. Fürs Kino ist es eine Steilvorlage, allerdings eine schon oft adaptierte. Das belastet den zweiten Teil von MARIE CURIE, ohne seiner Balance wirklich zu schaden.
Originaltitel: MARIE CURIE
F/Polen/D 2016, 95 min
FSK 6
Verleih: NFP
Genre: Biographie, Drama
Darsteller: Karolina Gruszka, Charles Berling, André Wilms, Samuel Finzi, Daniel Olbrychski
Regie: Marie Noëlle
Kinostart: 01.12.16
[ Andreas Körner ]