Wer in den letzten Monaten häufiger im Kino als im Museum war, mußte auf bildende Kunst nicht verzichten. Das dokumentarische Künstlerporträt feiert, wie es scheint, eine kleine Hochkonjunktur, manchmal sogar unabhängig vom Jubiläumskalender. Ob nun 129. Geburtstag oder 63. Todestag – das Datum darf krumm sein, wenn nur der Film gerade ist, oder? Während man sich noch fragt, ob es sich auf geraden Wegen besser und nicht nur bequemer läuft, geht einem das Hantieren mit den Genreüblichkeiten doch leicht von der Hand. Denn nicht dem Regisseur, sondern dem Konventionenbrecher, Konturenverbieger und Mythenschöpfer Max Beckmann gehört die Bühne. Wenn auch nicht allein.
Auf ihr tummeln sich eingelesene Selbstzeugnisse und ausgegrabene biographische Details, vor allem aber namhafte Kunsthistoriker aus Deutschland, Frankreich und den USA, allesamt stolze Teilverwalter und/oder profunde Kenner des Werkes. Der Aufmarsch der Exegeten, Musterexemplare des von Beckmann geforderten „mitproductiven“ Betrachters, die tatsächlich zunächst sitzend Auskunft über stilistische Kontinuitäten, Umbrüche, Aufbrüche, Abbrüche geben. Michael Trabitzsch und seine Kameraleute bitten dann aber zur Bildauslegung in situ, nicht nur zu didaktischen Zwecken. Die Begegnung zwischen Experte, Bild und Kamera führt zu jenen leisen Irritationen, die das Auge neu schärfen und die Mittlerposition ins Bewußtsein rücken. Die wach machen für das Meer an Unsicherheiten, subjektiven Sehlüsten und Lieblingsthesen, Mikro- und Makrowahrnehmungen, gegen die sich der Atlantik wie ein Ententümpel ausnimmt.
Lange schien dieser Tümpel für Beckmann unüberwindlich. Weimar, Paris, Berlin, Frankfurt am Main waren wichtige Stationen. Sein freiwilliger Dienst im 1. Weltkrieg hätte die letzte sein können, schärfte allerdings den Figurenstil und vertiefte die Themen. Als Exilant strandete er nach 1933 in Amsterdam, immerhin einer Hafenstadt. Doch Amerika blieb der Sehnsuchtsort, gerade groß genug, um wachsenden Bildformaten und seinem Raumtiefe-Konzept in Höhe und Breite gerecht zu werden. Mit DEPARTURE, dem Titel des ersten von neun vollendeten Triptychen, ist Trabitzschs Porträt auch im Hinblick darauf sinnfällig überschrieben und metaphorisch geklammert. 1932/33 begonnen, kam das Bild schneller ans Ziel als der Maler, denn es fand bereits 1942 Aufnahme in die Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art. Erst 1947 konnte Beckmann nachfolgen.
D 2013, 90 min
FSK 6
Verleih: Piffl
Genre: Dokumentation, Biographie
Stab:
Regie: Michael Trabitzsch
Drehbuch: Michael Trabitzsch
Kinostart: 06.06.13
[ Sylvia Görke ]