Amerika und der Western. Das Land und sein Mythos. Die fiktionale Verarbeitung der Eroberung des Westens ist beinahe genauso alt wie die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika selbst. Seit Jahrzehnten wird nun schon das Aussterben des amerikanischen Urgenres prognostiziert. Und immer, wenn man mal wieder meint, das Todesächzen des großen alten Haudegens Western zu hören, taucht ein Film auf, der beweist, daß längst noch nicht alles tot erzählt ist. Jüngste Versuche allerdings, den Tattergreis unter den Filmsparten mit außerirdischem Hokuspokus wie ein Jüngling aussehen zu lassen, scheiterten brutal. Regisseurin Kelly Reichardt (WENDY UND LUCY) geht einen völlig anderen Weg, auch wenn dieser sie ebenfalls nach Westen führt. Ihr Film beschränkt sich auf das Wesentliche: Ein Siedlertrack auf der Reise. Keine blitzenden Colts, keine Indianerhorden, nur ein paar einfache Leute auf dem brutal harten Weg nach Westen. Und siehe da: Der alte Westen lebt. Und man selbst ist plötzlich mittendrin im Opfergang seiner Erschließung.
1845: Ein kleiner Treck von drei Familien heuert den erfahrenen Trapper Stephen Meek an, um sie über die Cascade Mountains zu führen. Der großmäulige Meek gibt vor, eine Abkürzung zu kennen und führt die Gruppe über einen unmarkierten Weg über die Hochebene, wo sich der Treck in einer Felsenwüste verliert. Die Wasservorräte schwinden, und das Mißtrauen gegenüber Meek wächst. Als die Gruppe einen Indianer gefangennimmt, scheint plötzlich ein neuer Ausweg aus der Klemme möglich. Der Eingeborene muß wissen, wo Wasser ist! Doch kann man ihm trauen? Das Dilemma dieser Entscheidung wird nicht groß aufgebauscht. Im Gegenteil: Reichardt erzählt gewohnt subtil und stilsicher im erprobten Terrain ihres filmischen Minimalismus’. Dennoch bleibt die Stimmung im Alltagskampf der Siedler zum Zerreißen gespannt.
Neben der Schönheit der spartanischen Bilder und einem bewundernswert konsequenten Naturalismus sind es vor allem die Schauspieler, die MEEK’S CUTOFF zu etwas Besonderem machen. Und einmal mehr ist es Michelle Williams, die nach Reichardts WENDY UND LUCY und Derek Cianfrances BLUE VALENTINE erneut in einem „kleinen“ Film glänzt und diesen trägt.
Ja, der alte Westen gibt noch viel her. Man muß sich nur wie Reichardt wagen, ihn von anderen Seiten zu zeigen.
Originaltitel: MEEK’S CUTOFF
USA 2010, 102 min
Verleih: Peripher
Genre: Western
Darsteller: Michelle Williams, Bruce Greenwood, Will Patton, Zoe Kazan, Paul Dano
Regie: Kelly Reichardt
Kinostart: 17.11.11
[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...